"Falls diese Vorstellung beibehalten wird"

Ein Präliminardialog über den "Verwaiser"-Zyklus vonRainer Wölzl

 

Gabriel Ramin Schor

 

A         

Schießen Sie zuerst!

 

0:           

Nun ja ... nur nicht falsch anfangen ... ein Stichwort, ein Anfang...ich weiß schon: Ach, mein Herr Kunstkritiker, treff ich Euch auch einmal!

 

A         

Wissen Sie, ich bin nur ein Schreiberling, der sich ab und zu mal eine Unterhaltung gönnen möchte. Wie heute.

 

0:           

Bei diesem Wetter?

 

A         

Ja, es ist häßlich. Aber warum nicht? Das Wetter hat doch immer Einfluß auf das Zwischenmenschliche.

 

0:           

Auch auf die Gesprächsthemen. Heute also Ernstes!

 

A         

Tatsächlich fällt mir das Blinzeln schwer ...

 

0:           

Das Glück paart sich so gern mit der Grausamkeit.

 

A         

Scheint so.

 

0:           

Wollen wir nun kluge Tiere sein?

 

A         

Wir mussen 3a nicht übertreiben.

 

0:           

Zuletzt nahmen wir uns als nächstes vor, einmal ausführlich über Becketts "Verwaiser" zu reden.

 

A         

Ja.

 

0:           

Und in diesem Zusammenhang auch über die letzten Arbeiten des von uns beiden sehr geschätzten Künstlers Rainer Wölzl.

 

A: So ist es.

0:           

Wie wollen wir nun vorgehen?

 

A         

Fangen wir vielleicht mit Beckett an?

 

0:           

Meinetwegen.

 

A         

Sagen Sie dann etwas, damit es endlich los geht.

 

0:          

"Der Verwaiser" gehört zu Becketts abstraktesten Texten.

 

A         

Vielleicht ist er auch deswegen Fragment geblieben.

 

0:           

Vermutlich.

 

A         

Der französische Titel lautet "Le dépeupleur", was soviel wie der "Entvölkerer" heißt.

 

0:           

"Le dépeupleur" wurde durch eine Gedichtzeile von Alphonse de Lamartine angeregt: "Un seul etre vous manque et tout est dépeuplé" _ "Ein einziges Wesen fehlt einem, und alles ist verwaist."

 

A         

Teile von "Le dépeupleur" erschienen vorher unter den Titeln "Dans le cylindre", "Séjour" und "L`Issue, Bemerkenswert" daß Beckett in seiner englischen übersetzung die Lamartine_Anspielung aufgibt und sein Prosafragment "The Lost Ones", also die "Verlorenen" nennt.

 

0:           

Ja, der Titel ist einmal aufs Außen und einmal aufs Innen bezogen, dabei ist zu bemerken, daß der "Verwaiser" von den "Verlorenen" gesucht wird.

 

A         

Das scheint die Geschichte zu sein: "Eine Bleibe, wo Körper immerzu suchen, jeder seinen Verwaiser." So beginnt der Text.

 

0:           

Im Text heißen die Verlorenen "Körper".

 

A         

Aber die "Körper" sind in "Sucher", "Nichtsucher", "Exsucher", "Seßhafte", "Wartende", "Kletterer" und "Besiegte" unterteilt.

 

0:           

Es gibt auch dort eine Hierarchie, eine Ordnung der

 

Dinge - die Nomenklatur erinnert mich an etwas. Die Besiegten sind mir am nächsten.

 

A         

Man kann auf sie treten, ohne daß sie sich rühren.

 

0:           

Ich bin auf ihrer Seite.

 

A         

Sie haben keine Seite, sie sind besiegt.

 

0:           

Sie gefühlsloser Mensch!

 

A         

Bleiben wir lieber bei der Sache.

 

0:           

Gut. Während die meisten Künstler auf Bevölkerung des leeren Raums aus sind, besteht Becketts Schöpfungsakt darin, den Raum wieder zu entvölkern.

 

A         

Das hat schon Herr Ellmann gesagt.

 

0:           

Ja, der verstorbene Salamanderfreund.

 

A         

Die Suche findet statt in einem.niedrigen Zylinder mit einem Umfang von fünfzig Metern und einer Höhe von sechzehn.

 

0:           

wegen der Harmonie.

 

A         

Unterbrechen Sie mich nicht! In diesem Zylinder sind etwa 200 Körper beider Geschlechter und jeden Alters vom Greise bis zum Kleinkind eingekerkert, die immerzu ihren Verwaiser suchen. Boden und Wand sind aus Gummi oder ähnlichem. Im Zylinder gibt es nur 15 Leitern, die die eingekerkerten Körper zu Nischen und Höhlen auf halber Höhe des Zylinders führen. Das Licht im * Zylinder ',.% ist gelblich und die Temperatur schwankt zwischen ' fünf und fünfundzwanzig Grad. Der Boden ist in drei Zonen unterteilt. Das ganze ist ein ziemlich genau entworfenes Regelsystem. Der Idealzustand ist die totale Passivität von Belacqua, der sitzend auf sein Ende wartet. Unter den Körpern gibt es keine Solidarität. Und ...

 

0: Aufhören! Ich halte das nicht mehr aus! Die Vorstellung hat Sie überwältigt.

 

A: Sobald man sich das Innere des Zylinders mit seinen Regeln vorstellt, geht es los. Die Vorstellung beibehalten, das ist wichtig.

 

0: Kommen wir zurück auf die Harmonie, denn sie ist auch in Wölzls Arbeiten von gewisser Relevanz. Seine großen querformatigen Arbeiten hat er innerhalb des goldenen Schnitts realisiert, um den Harmoniebezug hervorzuheben.

 

A: Ja, das hat Wölzl erkannt und genial umgesetzt. Er setzt auch Schwefelgelb ein und malt sogar auf Papier, womit er materiellen Bezug zum Text herstellt.

 

0: Der Zylinder ist der Kosmos und das Außerhalb ist Chaos. "Denn nur im Zylinder gibt es Gewißheit, und draußen nichts als Rätsel", heißt es im Text. Kosmos bedeutete ursprünglich zweckvoll gegliederte Ordnung als Ergebnis einer Anweisung. Die betonte Harmonie ist aber negativ gewendet, sie ist im Sinne der Gnosis zu verstehen, als Eingekerkertsein innerhalb einer grausamen Ordnung.

 

A: Der Verwaiser als gnostische Parabel?

 

0: Genau.

 

A: Wölzl geht aber nicht illustrativ vor. Er ist nicht Gustave Doré. Sein Weg ist viel komplexer. Ich sehe in Wölzls Vorgangsweise eine doppelte Strategie, die ich mit Echo und Allusion bezeichnen möchte. Seine Auseinandersetzung hat etwas Hypertextuelles (der Verwaiser ist dabei der Hypotext), um Genettes Terminus zu gebrauchen. Wölzl transforiert und transfiguriert den Text in seiner Lektüre, nur dadurch können seine Bilder jenes Eigenleben führen.

 

A:Wo sind die Echos?

 

0: Zum Beispiel die Leiter_Thematik, die Haut, Belacqua und das Mann_Frau_Sujet.

 

A         

Es gibt ein Gemälde, in dem ein Mann oder eine Frau links seitlich liegt, dabei der Kopf, die Arme und die Beine so nach vorne gestreckt sind, daß man sie nicht sehen kann. Man sieht also nur die Rückseite - die Schulter, den Rücken, die Taille, die Pobacken ... den Arsch. Das ganze schaut in seiner Frontalität aus wie ein einziger, kurzer, mit Fleisch überzogener Knochen. Was Wölzl hier vorgenommen hat, ist seit den russischen Formalisten, seit Skhlovsky, als Ostranenie bekannt.

 

0: Wie bitte? Sagten Sie Onan...

 

A: Nein! Ostranenie. Ein Begriff, der die literarische verfremdungstechnik bezeichnet. Die Verfremdung besteht nun darin, daß man den Rücken plötzlich als etwas anderes wahrnimmt, also die Assoziation in eine andere Richtung geht. Zu diesem Bild gibt es auch eine kleine Zeichnung, die das selbe Thema elliptisch umsetzt; die rechte Hälfte ist nicht zu sehen, dadurch wird es zum Körperfragment.

 

0: Die Ostranenie ist auch in jener Arbeit angewendet, wo man den Rücken eines Mannes oder einer Frau nur bis zur Taille sieht. Wieder sind Kopf und Arme so nach vorne gestreckt, daß man sie nicht mehr sieht. Doch ist hier meines Erachtens die Verfremdung eine zweifache: einerseits hat die Rückseite den Umriß eines befremdenden Objekts andererseits wirkt der Rücken durch die Verfremdung der Haut als etwas Mineralisch-Anorganisches, sogar Kosmisches.

 

A: Die Allusionen?

 

0: Das Mutter_Kind_Thema, die christliche Ikonographie der Pietà. Das Isolieren der Figuren, womit er vom Text deutlich abweicht. Er behauptet sich auch gegen den Text. Wölzl ist kein devoter Leser. Denken Sie beispielsweise an Jasper Johns' Holbein_Allegorie.

 

A         

Ja, ja, ich war damals in Basel.

 

0:           

Was tut Johns? Er definiert einen allegorischen Zwischenraum (Duchamp), den er mit Bedeutung füllt, er definiert eine palimpsestartige Relation zwischen dem Holbein_Bild und seiner Zeichnung. ähnlich verhält es sich mit Wölzls Verwaiser_Lektüre und ihrem Ergebnis. Wobei die Skulpturen einen eigenen Bereich für sich beanspruchen.

 

A         

Ja, die Skulpturen haben einen beinahe autonomen Status, weil sie die Text_Werk_Korrespondenz subversiv unterlaufen.

 

0:           

Bis auf das Beckett_Porträt! Diese Hommage ist die große Ausnahme, übrigens das einzige Porträt in Wölzls bisherigem Werk.

 

A         

Anders als der von ihm geschätzte Francis Bacon, der ja nicht wenige Porträts hervorbrachte.

 

0:           

Sogar von Mick Jagger!

 

A         

Tut nichts zur Sache.

 

So gesehen, interessiert sich Wölzl mehr für das Allgemeine als für das Personale, ihn interessiert die Conditio humana. Er ist nicht der Illustrator von Allgemeinplätzen einer negativen Anthropologie, was so manche Feuilletonisten unbedingt in sein Werk legen mußten. Wölzl hat sich vor einigen Jahren für einen stillen Weg entschieden, für eine einsame Route.

 

A: Er glaubt nicht mehr an den belastenden Balast, den man Tradition nennt. Die Kunstgeschichte ist eine Ruine, als            

Fach und Gegenstand. Francis Bacon sagte einmal: "Wenn es nämlich überhaupt keine Tradition mehr gibt, bleiben nur noch zwei extreme               

Ziele übrig: Einmal der direkte Bericht, also etwas, das dem Polizeibericht ziemlich nahe kommt. Und zum anderen der Versuch, große Kunst zu machen. Eine Kunst, die da zwischen steht, existiert in einer Zeit wie der unseren einfach nicht."

 

0: Becketts",Verwaiser... Rainer Wölzls Arbeiten ... ein weites Feld. Wir werden noch einiges zu sagen haben. Für heute wollen wir nur festhalten, daß sich Rainer Wölzl auf seinem stillen Weg - um Bacons Scheideweg vor Augen zu halten - für den letzteren Weg entschieden hat.

 





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