Einkerkerungskunst
Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.
Walter Benjamin
I.
Eine Bleibe, wo Körper immerzu suchen, jeder seinen Verwaiser. Groß genug für vergebliche Suche. Eng genug, damit jegliche Flucht vergeblich. Es ist das Innere eines niedrigen Zylinders mit einem Umfang von fünfzig Metern und einer Höhe von sechzehn wegen der Harmonie."1
So beginnt Samuel Becketts 1970 erschienenes Prosafragment Der Verwaiser,2 das zu seinen abstraktesten3Werken gehört. Das Geschehen ist dennoch konkret: Zwischen einem "undenkbaren"4 Anfang und Ende sind 205 Körper beiden Geschlechts und unterschiedlichen Alters - "vom Greise bis zum Kleinkind"5- in einem hermetisch abgeriegelten Zylinder auf engstem Raum eingekerkert. Das einzige Inventar sind 15 Leitern verschiedener Länge, mit denen die "Körper" zu "Nischen" und Höhlen auf halber Höhe des Zylinders gelangen können. Die Nischen sind wabenförmig miteinander verbunden (Quincunx)6 oder münden in tote Stollen. Licht und Temperatur oszillieren.
Das Licht zwischen Hell (gelblich) und Dunkel, die Temperatur alle vier Sekunden zwischen fünf und fünfundzwanzig Grad Celsius. Der Zylinderboden ist in drei "Zonen" unterteilt: die erste Zone ist ein circa ein Meter breiter Außenring, wo die Leitern aufgestellt sind und ein Teil der "Körper" Schlange steht; die zweite Zone ist ein 80 Zentimeter breiter Pfad, auf dem sich ein Teil der "Körper" ständig im "Gänsemarsch" kreisförmig bewegt; die dritte Zone ist die restliche Fläche in der Zylindermitte, wo sich die meisten Zylinderinsassen aufhalten.
Die "Körper" sind nach einer sozialen Nomenklatur hierarchisch unterteilt: in nicht mehr suchende "Besiegte" (auf die man treten kann, "ohne daß sie sich rühren")7, "Sucher" (meist in Bewegung, manchmal pausierend), "Seßhafte" (sie bewegen sich, wenn sie aus ihrer Ecke vertrieben werden) und "Kletterer" (klettern die Leitern hinauf und hinunter). Abweichungen vom festgelegten Regelsystem haben immer wieder "Wut und Gewalttätigkeit"8 zur Folge. Der Idealzustand innerhalb der "Bleibe" ist die totale Passivität wie sie von Dantes Belacqua verkörpert wird.9 Doch gibt es noch genug "Körper", die ihren "Verwaiser" suchen.10
Wer ist der "Verwaiser"? Der Text gibt darüber keinen Aufschluß. Der "Verwaiser" ist eine unbekannte Größe wie "Godot" oder das "Gesetz" bei Kafka, eine "bestimmte Unbestimmtheit",11ein Signifikant, der nicht auf ein Signifikat verweist. Die Identität des "Verwaisers" (eigentlich der "Verwaiser", sucht doch "jeder seinen Verwaiser") ist nicht relevant, da es ihn vielleicht gar nicht gibt, er nur in der Vorstellung der "Sucher" existiert. Einzig wesentlich ist die "Suche" nach ihm - wie es das Warten auf "Godot" ist, nicht "Godot" selbst, was zählt. Im Verwaiser wird "die von allen Nebensächlichkeiten, von allem Akzidentellen und Kontingenten gereinigte, parabolisch verkürzte Welt- und Menschheitsgeschichte" erzählt.12
Die Interpretationsgeschichte ist reich an Deutungsversuchen: Ludovic Janvier orientiert sich philologisch,13 Marianne Kesting ethologisch,14 David Porush kybernetisch,15Peter Brockmeier metaphysisch,16 Günter Metken ikonographisch,17 George Tabori politisch,18Raymond Federman futuristisch,19 Sebastian Neumeister allegorisch,20 Susan Brienza rezeptionsästhetisch 21und Antoinette Weber-Caflisch literaturgeschichtlich.22Aber beispielsweise auf die Fragen, warum die "Körper" überhaupt im "Zylinder" eingekerkert sind, warum sie ihren "Verwaiser" suchen, warum sie die "Leitern" hinaufsteigen und warum die "harmonischen" Proportionen des "Zylinders" nachdrücklich betont werden, gibt die bisherige Literatur keine Antwort. Sind diese Fragen nicht konstitutiv für die "Vorstellung", die "beibehalten wird"? Sie wurden jedenfalls nicht gestellt. Vielleicht wegen der Macht, die die "Vorstellung" auf den Leser ausübt, wodurch der Text unhintergehbar wird; der ideelle (früher sagte man ideologische) Gehalt wird oft weggeblendet, Interpretation wird zur Deskription.
Marianne Kestings Aufsatz "Zylinder und Schädelraum oder Beckett und die Verhaltensforschung. Zur Interpretation des <Dépeupleur>" von 1980 ist eine Ausnahme. Sie liest den Verwaiser als "Versuchsanordnung"23und stellt ihn in Beziehung zu einer Studie des amerikanischen Verhaltensforschers und Tierpsychologen John B. Calhoun, der im Jahre 1962 - bevor Beckett mit seiner Arbeit am Verwaiser begann - das Ergebnis seiner Forschungen unter dem Titel "Population Density and Social Pathology" im Scientific American veröffentlichte .24 Calhoun untersuchte das Verhalten von unentrinnbar eingesperrten Laborratten, die auf engstem Raum lebend, abnormale Verhaltensmuster entwickelten (Aggression, abnehmende Sexualität, Kannibalismus bei den männlichen Ratten, Brutvernachlässigung bei den weiblichen). Eine gewisse Analogie zu den "Körpern" im "Zylinder" ist wohl evident, gibt es auch dort kaum "einen Quadratmeter pro Körper"25und ist das Verhalten der "Körper" untereinander immer wieder von Aggression bestimmt. Das Verhalten im "Zylinder" ist aber bereits das Ergebnis einer Anordnung, die Kesting auch nicht näher hinterfragt, da für sie die Population und der soziale Raum a priori gegeben sind.
Der Verwaiser zeichnet sich durch eine weitere Dimension aus, die ich - mit Maurice Blanchot - den "literarischen Raum" nenne.26Dieser Raum, seine Stereometrie und Essenz, verweisen auf eine andere Wirklichkeit, eingebettet in einen mythischen Horizont.
Um diesem Thema nachzugehen, soll ein bestimmter Aspekt aus Becketts Essay Maler der Verhinderung (1948), den er 22 Jahre vor dem Verwaiser veröffentlichte, vergegenwärtigt werden. In jener Zeit schrieb Beckett die Romantrilogie und Warten auf Godot. Neben diesen künstlerisch streng konzipierten Werken war es ihm ein willkommener Anlaß, sich über seine Malerfreunde, die Brüder Geer und Bram van Velde, in jener Entspanntheit und Zerstreuung zu äußern, die das Medium Essay vergleichsweise zuläßt:
"Ich habe alles, was ich über die Malerei der Brüder van Velde zu sagen hatte, in der letzten Nummer der Cahiers d'Art gesagt (zumindest wenn seither keine mehr erschienen ist). Ich habe dem nichts hinzuzufügen, was ich dort gesagt habe.
Es war wenig, es war zu viel, und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Glücklicherweise geht es nicht darum, zu sagen, was noch nicht gesagt worden ist, sondern wiederzusagen, so oft wie möglich, auf möglichst engem Raum, was schon gesagt worden ist. Sonst verwirrt man die Amateure. Dies vorweg. Und die moderne Malerei ist schon selbst verwirrend genug, daß man sie nicht noch verwirrender machen muß, indem man bald sagt, sie sei vielleicht dies, und bald, sie sei vielleicht das. Dann verwirrt man sich selbst, unnötigerweise. Man ist ja schon ziemlich verwirrt, notwendigerweise, und zwar nicht nur durch die moderne Malerei, daß man sich nicht noch mehr verwirren will, indem man zu sagen versucht, was, so weit einem bekannt, noch nicht gesagt worden ist. Denn der unwürdigen Versuchung nachgeben, zu sagen, was noch nicht, soweit einem bekannt ist, gesagt worden ist, heißt, sich einer großen Gefahr aussetzen, der, zu denken was, soweit man weiß, noch nicht gedacht worden ist.
Nein, worauf es ankommt, wenn man der eigenen Verwirrung und der Verwirrung anderer gegenüber der modernen Malerei und anderen Gegenständen der Erörterung nichts hinzufügen will, ist, etwas zu behaupten, sei es schon vorher gesagt worden oder nicht, und dabei zu bleiben."27
Der lockere Stil sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Autor zwischen den humorvollen Einlagen Ernstes anklingen läßt; Bram van Veldes Malerei wird mit folgenden Worten gedeutet:
"Bei dem anderen (BvV) unter den unerschütterlichen Massen eines zurückgedrängten eingeschlossenen und für immer in sich selbst zurückgezogenen Wesens, ohne Spuren, ohne Luft, zyklopisch, mit kurzen Aufhellungen, in den Spektralfarben des Schwarzen. Ein Enthüllen ohne Ende, Hülle nach Hülle, Ebene auf Ebene unvollkommener Transparenzen, ein Enthüllen auf das Unenthüllbare hin, das Nichts, die Sache aufs neue. Und das Einhüllen in das Einzige, an einem Ort undurchdringlicher Nachbarschaften, Zelle gemalt auf den Stein der Zelle, Einkerkerungskunst."28
Zwei Jahre zuvor hatte Beckett in Die Welt und die Hose (1946) die Malerei seines Freundes unter das Zeichen der "Conditio humana"'29 gestellt. Nichts anderes ist gemeint, wenn er nun von der "Zelle gemalt auf den Stein der Zelle" schreibt, denn das Wort"Zelle" hat im Französischen ("cellule") wie im Deutschen zwei Bedeutungen, derer sich der Autor bewußt ist: es bezeichnet die kleinste Einheit des Lebens und den Raum der Gefangenschaft zugleich. Doch geht Beckett im Essay von 1948 einen entscheidenden Schritt weiter: er deutet die Malerei seines Freundes als "Einkerkerungskunst". Es ist hier nicht der Ort, auf das Werk von Bram van Velde einzugehen - vielmehr beziehe ich mich auf Becketts Einschätzung, um zu zeigen, daß die Idee einer "Einkerkerungskunst" später für Beckett selbst wesentlich wurde und im Verwaiser seine große Manifestation finden sollte.30Denn wie heißt es in Maler der Verhinderung?
"Indem man etwas behauptet und dabei bleibt, was auch immer passiert, kann man sich schließlich eine Meinung bilden über was auch immer, eine gute Meinung, solide und haltbar das ganze Leben lang."31
Beckett charakterisierte mit "Einkerkerungskunst" nicht nur Bram van Veldes Malerei bis 1948, sondern erklärte darüber hinaus seine eigene künstlerische Absicht, denn "mit Worten erzählt man nur sich selbst."32
Tatsächlich läßt sich das Projekt einer "Einkerkerungskunst" von Maler der Verhinderung (1948) bis zum Verwaiser (1966/1970) rekonstruieren; hier kann ich den Weg nur skizzieren. Schon im Gedicht Was würde ich tun ohne diese Welt (1949) ist zu lesen:
"was würde ich tun ich würde wie gestern wie heute tun
durch mein Bullauge schauend ob ich nicht allein bin
beim Irren und Schweifen fern von allem Leben
in einem Puppenraum
ohne Stimme inmitten der Stimmen
die mit mir eingesperrt"33
Das Zylinder-Motiv taucht schon in Malone stirbt (1948) auf:
"Und ohne seine Geschwindigkeit zu verlangsamen, fing er an, von einem flachen Land zu träumen, wo er nie mehr aufzustehen und sich auch nicht aufrecht im Gleichgewicht zu halten brauchte, zuerst auf dem rechten Fuß, zum Beispiel, dann auf dem linken Fuß, und wo er wie ein großer mit Intelligenz und Willen begabter Zylinder kommen und gehen und so überleben könnte."34
In Der Namenlose (1949) heißt es:
"Ich bin eine große sprechende Kugel, sprechend von Dingen, die es nicht gibt, oder die es vielleicht gibt, unmöglich es zu wissen, da liegt die Frage nicht. O ja, schnell ein anderes Lied. Warum eigentlich eher eine Kugel als etwas anderes, und warum eine große? Warum nicht ein Zylinder, ein kleiner Zylinder?"35
Dort ist auch von einem Ort "ohne Zugang" und "ohne Ausweg" 36 die Rede, der "nicht wie Eden" sei. In der Kurzprosa Auswegloser Ort (1960) wird eine "Arena" beschrieben, die der im Verwaiser ähnlich ist. Auch hier sind "Körper" auf engstem Raum in "Bewegung" und andere "regungslos".37 Der Boden ist in dunkle und helle "Zonen" eingeteilt und die thermischen Verhältnisse erinnern ebenfalls an den Verwaiser. Und in Falsch angefangen (1965):
"Sich einen Ort vorstellen, schon wieder (...) Ein umschlossener Raum, fünf Fuß im Quadrat, sechs Fuß hoch, es da mit ihm versuchen. Hätte nicht reingekonnt, kann nicht raus, konnte rein, wird rauskönnen, schon gut. Schemel, nackte Wände, wenn das Licht kommt, Frauengesichter an den Wänden, wenn das Licht kommt. ( ... ) Licht aus und ihn sein lassen, auf dem Schemel sitzend und zu sich selbst in der letzten Person sprechend.( ... ) Es nicht nur sitzend versuchen, auch stehend, gehend, kniend, kriechend, schleichend, im Dunkel und im Licht. Sich Licht vorstellen. Sich Licht vorstellen. Keine sichtbare Quelle, grell bei vollem Schein, über alles gebreitet, keine Schatten, alle sechs Flächen gleich hell, langsam angehend, zehn Sekunden bis zum vollen Schein, langsam ausgehend, das versuchen.
Steht er still, stößt sein Schädel an die Decke, bewegt er sich, nicht. Sagen: ein Leben lang gekrümmt gehen und sich aufrichten, wenn er zum Stehen gebracht worden ist. Wenn es ausgeht, keine Bedeutung, von neuem beginnen, ein anderer Ort, jemand dort, hinstarren, nie sehen, nie finden, kein Ende, keine Bedeutung."38
Angesichts der Idee einer "Einkerkerungskunst" und ihrer manigfaltigen Spuren in den Texten nach 1948, kann man retrospektiv von einer Genese des Fragments sprechen; die Motive verdichten sich teleologisch, im Verwaiser kulminierend.
Nun zum ideellen Gehalt und seinem mythischen Horizont. Dies erfordert den Rückgang auf die Ursprünge der abendländischen Zivilisation, 570 Jahre vor unserer christlichen Zeitrechnung. Damals lebte in der Stadt Milet, Metropole des archaischen Ioniens, der vorsokratische Naturphilosoph Anaximander, von dem wir nicht viel wissen. Anaximander markiert den Anfang der abendländischen Philosophie, und sein berühmtes Spruchfragment ist deren ältestes überliefertes Dokument:
"Woher die Dinge ihre Entstehung haben, dahin müssen sie auch
zu Grunde gehen,
nach der Notwendigkeit;
denn sie müssen Buße zahlen und für ihre Ungerechtigkeiten
gerichtet werden,
gemäß der Ordnung der Zeit."39
Anaximanders dunkler Gedanke hat zahlreiche Deutungen erfahren, manche fielen weltlich-politisch (Werner Jaeger) andere metaphysisch aus, wie in (auf) Heideggers Holzwegen:
"Das Altertum, das den Spruch des Anaximander bestimmt, gehört in die Frühe der Frühzeit des Abend-Landes. Wie aber, wenn das Frühe alles Späte, wenn gar das Früheste das Späteste noch und am weitesten überholte?"40
Ich weise darauf hin, weil Anaximanders kosmologische Vorstellung Beckett beim Schreiben des Verwaisers inspirierte, wo die "Ordnung der Zeit" einen gewissen Sinn hat und alles innerhalb eines "niedrigen Zylinders" geschieht, wie Anaximander die Gestalt der Erde sah: "ein Zylinder, dessen Höhe ein Drittel seiner Breite <d.h. des Durchmessers seiner Grundfläche>" sei .41
Wie kommt ein Autor der literarischen Moderne dazu, auf eine vorkopernikanische, frühantike Weltmetaphorik zurückzugreifen? Eine mögliche Antwort besteht in Becketts Absicht, auf die vorchristlich-heidnische Zeit zu rekurrieren (wie Nietzsche in seiner "Kosmodizee"), um die christliche Weltauslegung mit ihren heilsgeschichtlichen Vorstellungen zu unterlaufen.
Die Welt an ihrem mythischen Ursprung deuten. Beckett bezieht sich also auf den frühgriechischen Kosmos. Die Etymologie gibt hier verblüffenden Einblick: Das Wort Kosmos entstand aus den Verben "ordnen, anordnen" und bedeutete ursprünglich "Anordnung", dann auch "zweckvoll gegliederte Ordnung" als Ergebnis einer Anweisung.42Diese Grundbedeutung bleibt lange bestimmend. Kosmos bedeutet demnach "Durchsetzung des Gehorsams wie die Einfügung des Einzelnen in eine umfassende Ordnung" !43Später, bei Platon, ist Kosmos die "durch den Demiurgen nach mathematisch-harmonischen Prinzipien hergestellte einheitliche Ordnung des Welt-ganzen. "44 Denn der Demiurg des Timaios erbaut die Welt "nach dem Muster harmonischer Aufteilungen." Platons harmonistischer Kosmos ist der Ursprung einer mächtigen Tradition -dafür hat das Christentum gesorgt (was Nietzsches These bestätigt, wonach das Christentum ein "Platonismus fürs Volk" sei).
Das Projekt "Einkerkerungskunst" hat seine Prämissen im frühgriechischen Kosmos als Ort des Unterworfenseins. Diese tragische Weltsicht ist von einer mythisch-religiösen Strömung bekannt, die sich gegen die platonische Auffassung von einem idealen, harmonisch geordneten Kosmos und ihre Vererbung an das Christentum stellte: die Gnosis.45 Sie war die große spätantike Revolte gegen das platonisch-christliche Weltbild. Die "Einkerkerungskunst" hat ihren Grund in der Gnosis. Rudolf Bultmann schreibt in Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen:
"Die auf griechischem Boden sich ausbildende Gnosis kann zwar den griechischen Kosmos-Gedanken formal beibehalten: der Kosmos bleibt die harmonisch gefügte, gesetzlich geordnete Einheit. Aber eben dieser Kosmos wird nun radikal abgewertet. Gerade seine Gesetzlichkeit ist das Furchtbare! Diese Harmonie bedeutet Gefängnis!"46
Die Gnostiker vollzogen eine Umwertung der Werte, damit verkörperten sie das Feindbild von Platonismus und Christentum. Der große Neuplatoniker Plotin schreibt "gegen die Gnostiker": "Sie führen da Weltentstehungen und gänzliche Untergänge ein und mäkeln an dieser unsrer Welt".47Und setzt seine Apologie des platonischen Kosmos gegen die gnostische Verachtung fort:
"Wer also über die Beschaffenheit dieser Welt schilt, der weiß nicht, was er tut und bis wohin diese seine Keckheit reicht. (...) Denn was Schreckliches haben diese, die Leute fürchten zu machen, die unerfahren sind im Denken und nichts gehört haben von der Bildung gegründeten, der harmonisch ausgeglichenen <Erkenntnis>?(...) Wiederum aber, Mißachtung des Kosmos, der Götter in ihm und des andern Schönen, das bedeutet nicht, gut zu werden. (...) Das zeigt auch das Sein des Kosmos und sein vernunftgemäßes Sein. Wer von denen, die aus Unverstand mehr Verstand als er zu haben glauben, ist so wohlgeordnet und vernunftgeregelt wie das All? Vielmehr ist es lächerlich und ein völliges Unding, solchen Vergleich anzustellen, auch grenzt solcher Vergleich, wenn er nicht nur darlegungshalber gezogen wird, an Gotteslästerung; diese Frage zu stellen, ist nicht Vernunft, sondern Verblendung, gänzlicher Mangel an Wahrnehmungsgabe und Denkvermögen, völliges Entferntsein von der Schau des geistigen Kosmos, da er ja den sinnlichen Kosmos nicht sieht."48
Plotin wirft den Gnostikern Blindheit vor, zumindest sahen sie nicht das, was er sah und gegen sie verteidigen mußte:
"Und da sollte einer so träge von Auffassung sein, so wenig angeregt werden, daß er beim Anblick all der Schönheiten, die im Sinnlichen liegen, der Harmonie des Universums, dieser riesenhaften, wohlgeregelten Gliederung, der Wohlgestalt, die an den Gestirnen auch aus der Ferne in Erscheinung tritt, nicht daraufhin nachdenklich wird und in Ehrfurcht faßt, wie Wunderbares aus wie Wunderbarem hervorgegangen ist? Dann hat er weder diese Welt begriffen, noch jene gesehen."49
Diese kosmische Schönheit und ideale Harmonie werden auch dem modernen Menschen verschlossen bleiben.
Der Verwaiser ist meines Erachtens eine moderne gnostische Parabel. Die Gnosis stellt die einzige geschichtlich bekannte Weltauffassung dar, die das Fundament der "Einkerkerungskunst" sein könnte. Ein Jahr vor der Formulierung dieser Idee im Essay von 1948 war in Oberägypten eine koptisch-gnostische Bibliothek aus dem 4. Jahrhundert entdeckt worden, die als der Nag-Hammadi-Fund über Gelehrtenkreise hinaus weltweit bekannt und 1950 in einem umfassenden überblick von Henri-Charles Puech vorgestellt wurde.50 Die französische Gnosis-Forschung ist mit dem Namen des Pariser Religionshistorikers untrennbar verbunden. Puech hat in Vorlesungen, die er von 1952 bis 1957am Collège de France hielt, eine "Phänomenologie der Gnosis" erarbeitet,51aus der ich Stellen im Lichte von Verwaiser zitiere.
Die 205 Insassen des "Zylinders" werden unabhängig von der sozialen Nomenklatur befremdenderweise "Körper" genannt. Warum? Puech schreibt über den Gnostiker:
"Wir fuhren fort mit dem Studium der Empfindungen und Ansichten, die sein Körper, das Verbundensein mit seinem Körper in ihm hervorruft; oder, um genau zu sein (denn die Nuance ist von Bedeutung), der Körper - denn allmählich kommt er an den Punkt, wo er seinen Körper als einen von ihm, d. h. von seinem eigentlichen Ich oder seiner wahren Person unterschiedenen Gegenstand betrachtet und begreift, als ein ihm fremdes und gleichsam unpersönliches Ding. (...) Der Gnostiker tendiert dazu, seinen Körper zu vergegenständlichen und zu etwas äußerlichem zu machen, ihn als von ihm selbst unterschieden zu betrachten, als anders oder etwas anderes als er selbst."52
Seit jeher geht "das Gerücht, oder noch besser, gilt der Gedanke, daß es einen Ausweg gibt",53 von einem "alten Glauben"54 ist sogar die Rede, wonach es einen "Ausweg" aus der Einkerkerung gäbe, den die einen in einem "Tunnel", die anderen in einer "Klapptür" an der "Decke" (unantastbarer Zenit)55 sehen. Puech: "Die Seele kann nur versuchen, eine Stelle für den Ausbruch zu finden und dem kosmos zu entfliehen (...) Der Gnostiker (...) fühlt sich (...) ins Gefängnis geworfen oder eingesperrt, ohne eine begründete Hoffnung oder sichtbare Möglichkeit zur Flucht. Es geht darum, (...) sich von ihr (der Welt) zu trennen oder abzusondern (...); schließlich den kosmos zu verlassen, wobei der Ausgang praktisch synonym ist mit Hinscheiden und Tod."56
Doch die "Sucher" glauben noch an diesen letzten "Ausweg", denn "im trüben Leuchten der Decke hütet der Zenit weiterhin seine Legende."57 Der "Glaube" an die "Klapptür" und das Verhalten der "Sucher" ist letztlich das "Geheimnis der Götter".58Warum "Götter"? Wie ist der Plural im seit zweitausend Jahren christlich-monotheistisch dominierten Abendland zu verstehen? Dies ist eben nicht christlich, sondern gnostisch:
"Wer ist für den kosmos (...) verantwortlich?Wer hat die Welt geschaffen und mich dazu gezwungen in ihr zu leben, und wer erlöst mich von diesem Schicksal, dieser Knechtschaft, dieser Angst und diesem Leiden, von dem Bösen, dem ich - vermischt mit der Welt - ausgesetzt bin? Es kann nicht ein und dasselbe Wesen sein. Der, der für die Welt und das Böse die Verantwortung trägt, kann nicht von der Welt und dem Bösen befreien; der Erlöser kann nicht der Schöpfer sein. So stoßen wir auf ein weiteres wesentliches Problem: das der zwei Gottheiten."59
Das Geheimnis der "Götter" ist das der beiden gnostischen Gottheiten (es wird sogar von einem "bösen Geist"60 erzählt).
Daß mit dem Zylinder der griechische Kosmos gemeint ist, wird auch hier deutlich: "Denn nur im Zylinder gibt es Gewißheit, und draußen nichts als Rätsel."61
Der "Zylinder" - Kosmos _ ist harmonisch geordnet, was ihn zum Ort der "Gewißheit" macht, außerhalb davon herrscht das Ungeordnete, das "Rätsel" - Chaos -, der griechische Gegensatz zum Kosmos.
Im "Zylinder" gibt es einen "Richtpunkt",62 von dem seine kosmische Ordnung abgeleitet ist. Dieser Punkt ist durch die Lage einer Sitzenden bestimmt:
"Bei alledem gibt es ein Norden in Gestalt eines Besiegten oder besser einer Besiegten oder noch besser der Besiegten.(...) Sie ist Norden."63
Die gnostische Vorstellung vom Nordlicht. Das war Beckett so wichtig, daß er 1972 einen Auszug aus dem Verwaiser in eigener englischer übersetzung unter dem Titel The North veröffentlichte.64
Der erzählte Zylinder_Raum entsteht in der "Vorstellung" des Autors, von dem wir eine Geschichte erfahren, die nur dann fortgesetzt werden kann, wenn auch beim Leser die "Vorstellung beibehalten" wird, die Conditio sine qua non, auf die der Erzähler neunmal ostinat hinweist,65sogar als letztes Wort im Text. Und so schließt sich die alte Schere zwischen dem Realen und Imaginären: real wird der "literarische Raum" erst dann, wenn er imaginiert ist. Dieser Raum ist mythischen Ursprungs, ein Mythokosmos.66Die Zylinderinsassen sind "Mythenfreunde",67in deren Augen es am "Zenit" einen "Ausweg" gibt - der alte gnostische Traum von der Befreiung. Aber die Befreiung kann "nur als Erlösung kommen; als eine Erlösung, die den Menschen aus dem Gefängnis befreit." 68Der "Verwaiser" - wer auch immer er ist - hat für die "Sucher" die Aufgabe des gnostischen Erlösers. Es liegt in der "Conditio humana" besiegelt, daß diese Erlösung nur eine Frage der Zeit ist. Schon der junge Beckett schreibt in Proust (1931) vom "Tod" als "Befreiung von der Zeit "69 und von der ">unsichtbaren Realität<, die das Leben des Körpers auf Erden zu einem Pensum verdammt und die Bedeutung des Wortes defunctus offenbart"70 ... die Zeit, jenes "doppelköpfige Ungeheuer der Verdammung und Erlösung."71Das bleibt für sein gesamtes Werk bestimmend.
Noch einmal Puech über den gnostischen Zeitbegriff:
"Die Zeit bildet eine Kette: Es gibt eine Verkettung der Zeit selber und eine solche an die Zeit, um so unerbittlicher, als die meisten gnostischen Systeme darin übereinkommen, die Zeit als Verhängnis aufzufassen ."72
Anders als einmal behauptet 73 ist Der Verwaiser große Literatur. Beckett veröffentlichte das Fragment gleichsam als Antwort auf den Literaturnobelpreis von 1969.
Im Jahre 1970 auf die spätantike Mythenwelt zurückzugreifen hat seine Bedeutung - vielleicht auch die, daß sich seit den Gnostikern das Gesicht der Welt nicht wesentlich verändert hat.
Es gibt noch etwas zu sagen. Gibt es noch etwas zu sagen?
"Alles ist nicht gesagt worden und wird nie gesagt werden. “74
II.
Rainer Wölzl verwirklichte schon zwischen 1991 und 1993 zwei Skulpturen und eine Serie von Zeichnungen zu Becketts frühem Gedicht Echos Gebein (1935):
"Obdach unter meinem Rist den ganzen Tag
ihr dumpfes Schmausen derweil das Fleisch fällt
und lassen Wind sonder Verlaub und Gunst
der Rutenlauf von Sinn und Unsinn ist getan
die Maden nehmen sie schlechthin so wie sie sind."75
Echo's Bones 1, 1991 besteht aus einem in Bronze gegossenen Rindsknochen, der - von einer Krücke gehalten - auf einem flachen quadratischen Sockel zu sehen ist. Die schwarz patinierte Oberfläche verleiht der Skulptur eine düster-sakrale Aura. Dabei ähnelt der Rindsknochen einem Phallus mit überdimensionalen Hoden, die sich irgendwann von ihrem Träger verabschiedet haben. Nun sind sie am Boden.
Diese Arbeit ist von tiefsinniger Ironie: Es gibt kaum etwas Toteres als den nackten Knochen eines im Schlachthaus gefallenen Rindes, den Wölzl zum Ausgangsmaterial nimmt. In Bronze gegossen, gewinnt der phallusähnliche Knochen an "Selbstbewußtsein" und bringt es tatsächlich - mit Hilfe einer Krücke - zur Erektion. So eng können Tod und Begierde beieinander liegen.
Echo's Bones II, 1991 ist eine verrostete Eisenschale mit zwei Griffen, drinnen rund zehn graue und milchweiße Steine gleicher Größe. Diese Arbeit ist nicht minder ironisch.
Im selben Jahr entstand ein Portfolio mit 9 Radierungen zu Becketts Gedicht Cascando (1936), in denen Wölzl ein kongenialer, in Schwarz definierter Mikrokosmos gelingt. Auf diese Radierungen einzugehen würde den Rahmen des Vorgenommenen sprengen (ich widme mich ihnen zu einer späteren Zeit, an einem anderen Ort).
Die Arbeiten von 1991/93 zeugen von Wölzls intensiver Beziehung zu Beckett, mit dem er nicht wenige Stunden seines Lebens lesend verbracht hat.
Zwischen Herbst 1994 und Frühjahr 1996 entstanden 77 Werke zum Prosafragment Der Verwaiser - Wölzls größte Hommage an den "Neinsager aus Nirgendland".76 Die zwanzig Gemälde, zweiundfünfzig Zeichnungen und fünf Bronzeskulpturen wurden anläßlich seines 90. Geburtstages am 15. Juni 1996 in Berlin erstmals gezeigt.77 Becketts Beziehung zu dieser Stadt ist wohl seit seinen Eigeninszenierungen von Endspiel, Das letzte Band, Glückliche Tage, Warten auf Godot, Damals/Tritte und Spiel zwischen 1967 und 1978 am Schiller-Theater bekannt.78 Eine Skulptur - nach John Minihans späten Photographien modelliert79 - ist das beeindruckende Porträt des alten Beckett (Abb. 22).
Daß sich Wölzl nach seinen Arbeiten zu Bachmann, Pasolini, Kafka, Trakl, Genet, Kneifl, Celan,80Lautréamont,81 Lorca82 und Pessoa wieder Beckett zuwendet, zeugt nicht nur von seinem guten literarischen Geschmack, sondern ist auch Ausdruck eines gleichsam methodischen Zugangs.
Denn wie Cézannes unermüdliches Insistieren auf die Auseinandersetzung mit der sichtbaren Wirklichkeit oder das Unsichtbare als Thema von Bram van Veldes Malerei,83ist auch Wölzls jahrelanges Beharren auf literarische Texte als schöpferische Quelle seiner Kunst zu verstehen. Wölzls malerischer Eros richtet sich immer wieder auf den "literarischen Raum", den er in seiner Arbeit in den malerischen Raum verwandelt. Diese Verwandlung ist ein komplexer Prozeß, der schon in Wölzls Lektüren stattfindet und in seinen Bildern manifest wird. Es ist wichtig festzuhalten, daß es sich nicht um Illustrationen der jeweiligen Texte handelt - das wäre keine künstlerische Herausforderung und schon gar nicht eine lebenslange Aufgabe. Seine Arbeiten zum Gedicht Echos Gebein zeigen, wie differenziert das Verhältnis "literarischer Raum"/malerischer Raum in Wölzls Kunst ist: ein fünfzeiliges Gedicht ist Ausgang (der Künstler gebraucht die Metapher "Katalysator") für die Realisation von rund zwanzig Arbeiten, die Zeichnungen innerhalb des Zweidimensionalen, die beiden Skulpturen innerhalb des Dreidimensionalen. In einer Zeichnung sind zwei Körper mit ausgestreckten Beinen ineinander verschränkt, ein fleischlicher Chiasmus. Diese Zeichnung steht in keiner mimetischen Beziehung zum Gedicht, weil es am Ende einer Metamorphose steht. Wölzl ist weder Gustave Doré noch ein devoter Leser; er liest die Texte als zündende Momente. Seine Kunst thematisiert auf fundamentale Weise das alte Problem von Text und Bild. Er transformiert und transfiguriert die Texte in seiner Arbeit, nur dadurch können die Bilder jenes Eigenleben führen (das heißt, daß er schon im Akt der Lektüre Künstler ist). Das Verhältnis zwischen dem Ausgangstext und den Bildern ist palimpsestartig, wobei der Verwaiser den Hypotext darstellt und seine Bilder den Hypertext, um Gérard Genettes Distinktion anzuwenden.84Wenn Textmotive als Bilder auftauchen, dann sind es Echos, nicht funktionale übertragungen.85Wölzl arbeitet auch nicht selten mit Allusionen auf kunstgeschichtliche Topoi (wie die Pietà).86Bei der Arbeit am Verwaiser-Zyklus war die extreme Spannung zwischen den beiden Textebenen - die positivistisch-konkrete Beschreibung und spekulativ-abstrakte Bedeutung - das Hauptproblem der Lektüre, vor allem wie man diese beiden Ebenen in Bildern vermitteln kann.
Rainer Wölzls Arbeiten stehen über das jeweilige Medium hinaus in Wechselwirkung zueinander (Abb. 25), daher erscheint es mir sinnvoll, sie in thematische Gruppen zu ordnen:
Wartende (Gruppe I), Mann/Frau (Gruppe II), Frau (Gruppe III), Mutter/Kind (Gruppe IV), Belacqua (Gruppe V), katatonische Figuren (Gruppe VI), Körperfragmente (Gruppe VII), Fleisch/Raum (Gruppe VIII), Leitern (Gruppe IX), Auge (Gruppe X) und der Zylinder (Gruppe XI).
Die Einteilungen bedeuten keineswegs, daß Wölzl die Arbeiten in dieser Reihenfolge hervorbrachte; die thematischen Konstanten sind nütztlich, um übersicht und Ordnung in seine Phantasie zu bringen, womit ich noch nicht Clovs "Liebe" folge: "Ich liebe die Ordnung. Sie ist mein Traum. Eine Welt, in der alles still und starr wäre und jedes Ding seinen letzten Platz hätte, unterm letzten Staub."87
Gruppe I: Die Wartenden
Fangen wir mit der Gruppe I an. Hier hält sich der Künstler weitgehend an die Dramaturgie im Zylinder:
"Leitern. Es sind die einzigen Gegenstände. Sehr verschieden große, doch ausnahmslos einfache. (...) Diese Leitern sind sehr begehrt. Am Fuße einer jeden, immer oder meist, eine kurze Schlange Wartender."88
Wölzl hat sich in drei großen Gemälden den "Wartenden" gewidmet (Abb. 2, 9, 11). Diese querformatigen Arbeiten sind - wie die anderen siebzehn - innerhalb der Maße 153 x 250 cm realisiert, die dem goldenen Schnitt entsprechen -"wegen der Harmonie".89
Sämtliche Gemälde sind wie die Zeichnungen auf Papier ausgeführt, damit ist auch ein physischer Bezug zum Text gegeben. Das Licht im Zylinder oszilliert zwischen Hell und Dunkel,90 die "Wartenden" werden daher jeweils in einem schwefelgelben, pompejanischroten und dunkelgrünen Raum gezeigt. In den illusionslosen Farbräumen sehen wir vier bis fünf "Körper" beiden Geschlechts, vor der Leiter Schlange stehend, um das alte Suchritual fortzusetzen. Mit wechselndem Licht tritt eine andere Körpersprache ein, die einer geheimen Choreographie gehorcht:
Im schwefelgelben Bild (Abb. 2) sind die "Wartenden" abwechselnd links seitlich, frontal links geneigt, streng frontal und frontal nach vorne schmerzgebeugt zu sehen. Wölzl versteht es, durch diese Choreographie einen Rhythmus zu schaffen, der das Bild bestechend und verführerisch macht. Das an den "Körpern" herunterrinnende gelbe Licht bewirkt die visuelle Verflechtung von "Körper" und Raum bzw. Figur und Hintergrund, zu sehen am verschwindenden Unterkörper91des Erstwartenden. Im pompejanisch-roten Bild (Abb. 9) sind es vier Figuren - links seitlich, frontal, links seitlich, frontal -, die in den Farbraum eingetaucht sind, Rostassoziationen weckend, das trocken-heiße Klima ist zu sehen. Die Gesichter sind wegen der nach oben ausgestreckten Oberarme verdeckt oder von den harmonischen Bildmaßen ausgeschnitten - man soll sich die Gesichter vorstellen, wie im Text. Vergleichsweise "abgekühlt" wirkt das Bild in dunklem Olivgrün und Elfenbeinschwarz (Abb. 11), diesmal sind es fünf "Wartende", die harmonisch Schlange stehen: gerade, links seitlich und in gleichem Abstand; die neutrale Abfolge ist der choreographische Nullpunkt Rückkehr zur Ordnung.
Wölzl erreicht in allen drei Arbeiten, mit unterschiedlichen Farben, Bilder von unbeschreiblicher Intensität.
Dazu entstanden zwei thematisch verwandte studienartige Zeichnungen (Abb. 58, 64) mit drei "Wartenden", beide in Schwefelgelb gehalten. Eine Zeichnung kann man als den Bewegungsablauf eines "Suchers" (von rechts nach links) in drei Silhouetten lesen (Abb. 58).
Vier in gelb gehaltene Blätter zeigen in feinen Figurationen geordnete und ungeordnete Gruppen von "Wartenden" (Abb. 40, 68, 70, 73), in denen Wölzl beweist, daß er auch ein hervorragender Zeichner ist. Manche "Körper" lehnen sich an der Wand (Abb. 68, 73), andere stehen streng geordnet Schlange (Abb. 73) und in einem anderen Blatt ist eine Horde von "Körpern" zu sehen, die Wölzl mit einer tachistischen Geste zu einer Gruppe verbindet (Abb. 70), eine auch farblich brillante Strategie.
Gruppe II: Mann/Frau
Die thermischen Verhältnisse und überbevölkerung des Zylinders machen sinnliche Berührung, Zärtlichkeit und Sexualität unvorstellbar:
"Auswirkungen dieses Klimas auf die Haut. Sie wird pergamenten. Körper streifen einander und rascheln dabei wie trockene Blätter. Selbst die Schleimhäute kriegen es zu spüren. Ein Kuß erzeugt ein unbesehreibliebes Geräusch."92
Das Schicksal der Liebespaare: "Gedränge und Dunkelheit erschweren das Erkennen. Bei zwei Schritt Abstand sind Mann und Frau, um nur von der allerinnigsten Bindung zu sprechen, einander fremd. Angenommen, sie nähern sich einander noch ein wenig, bis sie sich berühren können, und wechseln ohne stehenzubleiben einen Blick. Falls sie sich dabei wiederer-kennen, zeigt es sich nicht. Was sie auch suchen mögen, das nicht."93
Die Farbe der Haut ändert sich: "Dieses Austrocknen der Hülle raubt der Nacktheit einen guten Teil ihres Reizes, wenn sich Rosa in Grau verwandelt, und das natürliche, saftvolle Gleiten von Fleisch an Fleisch in ein Brennesselrascheln. Selbst die Schleimhäute werden in Mitleidenschaft gezogen, was nicht schlimm wäre, wenn sich daraus nicht eine Behinderung beim Lieben ergäbe. Aber selbst in dieser Hinsicht ist der Schaden nicht groß, so selten kommt es im Zylinder zur Erektion. Trotzdem gibt es sie, gefolgt von einem mehr oder weniger glücklichen Eindringen in den nächsten Tubus. Es kommt sogar vor, daß Gatten sich kraft des Wahrscheinlich-keitsgesetzes auf diese Weise wieder vereinigen, ohne sich dessen bewußt zu werden. Merkwürdig ist dann das Gerangel, das sich schmerzhaft und hoffnungslos weit über das hinaus fortsetzt, was die geschicktesten Liebespaare im Zimmer zustande bringen. Weil eben Mann und Frau genau wissen, wie selten die Gelegenheit ist und wie wenig wahrscheinlich ihre Wiederkehr."94 Im Allgemeinen herrscht "tiefe Abscheu vor Berührung".95
Ein Gesicht im rechten Profil (Abb. 13), Blick auf einen Körper. Der leere Raum zwischen dem Gesicht und dem Körper. Wölzl inszeniert in diesem Gemälde einen zärtlichen Umschlag, die Umwandlung einer "Poetik des Blickes"96 in eine "Poetik des Raumes".97Durch den Blick, den visuellen Affekt, gewinnt der Zwischenraum an emotionaler Intensität, doch keine Erotik, ein stummes Bild, schweigsames Begehren ... Sehnsucht, aber keine Berührung.
"Rainer Wölzl läßt zwei Körper sich frontal gegenüberstehend begegnen. Während sich ihre Körperlichkeit hinter der Kontur in einem unendlichen Raum auflöst, nimmt die zwischen ihnen liegende Fläche physische Züge an, wird selbst zur Figur, die die beiden Körper voneinander trennt."98
Jacqueline Rugo beschreibt das in schwefelgelb gehaltene Gemälde (Abb. 4), in dem ein Mann und eine Frau einander in die Augen sehen. Ein kompositionell raffiniertes Bild, das die Figur-Grund-Relation originell ad absurdum führt. Der trennende Raum zwischen Mann und Frau bleibt auch in zwei verwandten Zeichnungen bestimmend, in denen es zu einer gesteigerten Abstraktion kommt (Abb. 75, 77). In der ersten ist links eine Frau an ihrer Brust und Brustwarze (eine häßliche Bezeichnung für eine der schönsten Erscheinungen des Lebens) zu erkennen, rechts gegenüber ein Mann an seinem undifferentiert-flachen Oberkörper (Abb. 75). Die Körper leuchten vor Begierde und Leidenschaft, der Raum zwischen ihnen ist aber dunkel, ist Nacht. Die zweite Zeichnung setzt die Farbigkeit der ersten fort, läßt aber keine figurative Dimension mehr erkennen, sie ist abstrakt (Abb. 77). Obwohl die Komposition gewisse kunstgeschichtliche Reminiszenzen an Olga Rozanova oder Barnett Newman erwecken mag, ist sie die logische Konsequenz einer Abstraktion: der Raum zwischen den beiden Körpern ist absolut geworden und kann daher nur mehr als schwarzer, vertikaler Streifen repräsentiert werden. Vertikal sind auch der Zylinder und der aufrecht gehende "Sucher" in ihm - hier sind Zwischenraum, Körper und Zylinder zu einer abstrakten Quintessenz verschmolzen. Wölzl formuliert in keiner Arbeit abstrakter als in dieser, die ihn an den Rand der malerischen Ausdrucksmöglichkeit drängt. An dieser mimetischen Grenze wird das alte Laokoon-Problem akut.99Dieses Blatt zeigt, daß die Zeichnungen nicht "kleinere" Realisationen darstellen, sondern den großen Gemälden in künstlerischer Aussage ebenbürtig sind. Ein Gemälde in Pompejanischrot zeigt ein auseinander gegangenes Paar (Abb. 16). Er hat sich fürs Klettern entschieden, steigt die Leiter hinauf, weil er glaubt, daß ihm die Höhenluft und die Nischen gut tun werden. Sie, zurückgelassen, bringt nur mehr die Kraft auf, den Ort des Abschieds auf allen Vieren zu verlassen. Ein trauriges Bild.
Ihre Gesichter sind nicht mehr zu sehen, aber ich kann mir ihr niedergeschlagenes Gesicht vorstellen. Im Zylinder sind größere Ausflüge nicht möglich, so wird er früher oder später die Leiter hinuntersteigen und zu ihr zurückfinden, weil er inzwischen eingesehen hat, daß man zu zweit, in verzweifelter Umarmung, schöner endet.
Formal betrachtet, ist das Bild auf dem Gegensatz zwischen Horizontalität (Frau) und Vertikalität (Mann) aufgebaut, in einer Disjunktion, die geradezu an Mondrian erinnert. Das rechte Bein des aufsteigenden Mannes ist nicht zu sehen, was zunächst befremdend wirkt, sich aber aus der Kletterbewegung ergibt.
Wölzl hält in den Bildern Mann und Frau auf Distanz, die seltenen, geräuschvollen Küsse und die noch seltenere Kopulation bleiben im "literarischen Raum".
Gruppe III: Frau
Eine Frau steht frontal in der linken Bildhälfte, diesmal kein Blick von der anderen Seite, nur sie allein (Abb. 3). Ihre linke Brust hängt herunter, die andere ist wegen des nach oben ausgestreckten rechten Armes angespannt. Das Thema dieses Bildes ist die Dialektik von Raum und Körper, wobei der Körper - wie eine Skulptur - den Bildraum deklariert.
Zwei Zeichnungen haben den weiblichen Akt zum Thema (Abb. 65, 66). Beide haben in ihrer Farbigkeit und ihrem malerischen Duktus etwas Lyrisches, das helle Rosa und Gelb tragen feminine Konnotationen.
Das weibliche Gesicht, jenseits aller Schönheitsideale, zeigen drei Arbeiten, die das Zeichnen mit der ölmalerei kombinieren (Abb. 27, 28, 57). In dem einen Blatt ist eine Frau skizzenartig gezeichnet und in die andere Komposition (Abb. 27) auf der rechten Hälfte aufgenommen. Wölzl läßt Motive in verschiedenen Blättern zirkulieren.
Gruppe IV: Mutter/Kind
"Säuglinge, die, da sie nichts mehr zu saugen haben, mit suchenden Augen auf dem Schoß kauern oder sich in frühreifen Posen auf dem Boden räkeln.
Andere, etwas weiter entwickelte kriechen auf allen vieren und suchen zwischen den Beinen herum. Hübsche Einzelheit: eine Frau mit weißem Haar, noch jung nach ihren Schenkeln zu urteilen, lehnt an der Wand, die Augen in Aufgegebenheit geschlossen, preßt unwillkürlich ein Knäblein an ihre Brust, das sich abstemmt, um den Kopf drehen und sich umsehen zu können.100
Eines der epischen Gemälde hat eine Mutter und ihr Kind zum Thema (Abb. 5). Die Mutter steht in der rechten Bildhälfte und hält ihr Kind, das dem Fall geweiht ist. Sie hält es mit Andacht und Grazie, erstarrt, als würde sie es seit rund zweitausend Jahren tun. Der Farbraum ist düster, dunkel und desillusioniert, das Gesicht der beiden ist nur in Umrissen zu sehen, die Körper sind durch eine dünne Aura vom umliegenden Raum getrennt.
Das Bild hat etwas von einer allgemeinen Aussage in Gestalt einer nackten Tatsache. Anders als Wölzls frühere Arbeiten, handelt es sich scheinbar nicht um eine komplexe Realisation, das Hintergründige ist zumindest nicht sichtbar. Der Skeptiker mag sich fragen, was es denn noch für eine Bedeutung habe, im Jahre 1995 auf ein altes Thema christlicher Kunst - die Pietà - zurückzugreifen, hat es dazu nicht schon genug Bilder gegeben? - der Arbeit fehle die Komplexität, um überzeugend zu sein. Weshalb nehme Wölzl die alte ikonographische Formel auf? Wo sei die moderne Brechung des Themas? Das Bild wirke doch nur sentimental und spekuliere letztlich mit der religiösen Empfindung des Betrachters. Müßte man angesichts dieser Fragen nicht dem Skeptiker recht geben? Das wäre zu einfach. Denn besteht hier nicht eine Versuchung, die das Bild zu einer emotionalen Falle macht?
Zu glauben, daß das Bild nur vom Pietà-Motiv getragen wird, hieße die malerische Intelligenz Wölzls zu unterschätzen, denn er nimmt die Ironie bewußt aus dem Bild heraus, um uns vor die Wahl zwischen einer sentimentalen oder ironischen Aufnahme zu stellen - und selbst diese Wahl ist wiederum ein genuin ironischer Akt (denken wir an die Ironie in Echo's Bones I, 1991). Die Pietà steht im Spannungsfeld zwischen Anspielung und Ironie, und dieses Werk sucht - vielleicht noch mehr als die anderen - den Dialog mit dem Betrachter, den es beim Ironiebegabten auch finden wird.
Gruppe V: Belacqua
Einer der "Seßhaften" schlingt die Arme um seine Kniee und beugt das Gesicht dazwischen nieder. Diese Figur, der Wölzl ein großes Gemälde (Abb. 12), eine Skulptur (Abb. 24) und zwei Zeichnungen (Abb. 53, 54) gewidmet hat, ist nach Rolf Breuer die "lnkarnation der conditio humana im 20. Jahrhundert"101und wird im Verwaiser mit folgenden Worten eingeführt:
"Es sind paradoxerweise die Seßhaften, die durch ihr Ungestüm die Ruhe des Zylinders am meisten stören. Viertens, diejenigen, die nicht suchen oder Nichtsucher, die größtenteils an der Wand in der Haltung sitzen, die Dante ein seltenes mattes Lächeln entriß.102
Der Name des großen florentinischen Dichters, des Schöpfers der Divina Comedia, ist der einzige, den man im Verwaiser findet. Dante war für Beckett ein lebenslanger Bezugspunkt. Einmal sagte er zu seinem Freund Walter Lowenfels: "Walter, ich will nichts weiter, als auf meinem Arsch sitzen, furzen und an Dante denken. Und dies sollte bis Becketts letzte Tage anhalten: "Nach einem unglücklichen Sturz mußte er 1988 in ein Pflegeheim, wo er in einem kleinen Zimmer lebte, das sich nur durch zwei Dinge auszeichnete, die er besonders liebte: einen Fernsehapparat, auf dem er Tennis- und Kricketspiele verfolgte, und eine Ausgabe von Dantes La Divina Comedia (Die Göttliche Komödie), die seit seiner Knabenzeit in seinem Besitz war und in der er gelegentlich herumblätterte. 104
Die Figur, die Beckett im Verwaiser beschreibt, taucht schon in Mehr Prügel als Flügel (1934) auf und sollte zur Beckeit-Figur schlechthin werden: Belacqua. Er verkörpert den Typus des Verweigerers (wie später Gontscharows Oblomow oder Melvilles Bartleby), und seine Sitzpose faszinierte Beckett wie die berühmte von Walther von der Vogelweide.105
Dante stellt Belacqua im "Vierten Gesang" des "Purgatorio" vor:
"Wir gingen hin und fanden viele Leute,
Die hinter diesem Fels im Schatten saßen,
Wie man aus Lässigkeit sich niedersetzt.
Und einer dort, der offensichtlich müde,
Der saß und schlang die Arme um die Kniee
Und beugte das Gesicht dazwischen nieder.
<Mein lieber Herr>, so sprach ich, <sieh nur diesen,
Der über alle Maßen lässig scheinet,
Als ob die Trägheit seine Schwester wäre.>
Da hat der Träge auf uns acht gegeben,
Indem er über seinen Schenkel schielte,
Und sprach: <Geh du hinauf, denn du bist tüchtig.>
Da merkt' ich, wer er war; und die Erschöpfung,
Die meinen Atem noch etwas beklemmte,
Verhinderte mich nicht, hinzuzutreten.
Doch als ich dort war, hob er kaum den Schädel
Und fragte: <Hast du richtig auch gesehen
Den Sonnenwagen auf der linken Seite?>
Die Lässigkeit und seine kurzen Worte
Verzogen meinen Mund zu einem Lächeln.
Dann sagte ich: <Belacqua, ohne Sorge
Bin ich um dich, doch sag, was willst du sitzen
Gerade hier? Erwartest du Begleiter?
Oder sind dies nur deine alten Sitten?>
Und er zu mir: <Bruder, was soll das Steigen?
Ich würde droben doch nicht eingelassen"106
Belacqua Shuah hat durch seine Trägheit im Leben die Läuterung versäumt und muß daher im Vorpurgatorio eine lange Wartezeit verbringen; er ist ein florentinischer Instrumentenbauer und heißt eigentlich Duceio di Bonavia.107
Wölzl isoliert "Belacqua" von seinen Mitinsassen und stellt ihn uns im großen Gemälde frontal gegenüber (Abb. 12). Das an Belacquas Haut herunterrinnende gelbe Licht wirkt wie ein feines Gittergeflecht, sein Gesicht ist identitätslos dem Allegorischen freigegeben.
Gruppe VI: Katatonische Figuren
Ein Mann (oder eine Frau) liegt links seitlich, dabei sind Kopf, Arme und Beine so nach vorne gestreckt, daß man sie nicht sehen kann (Abb. 19). Zu sehen ist also nur die Rückseite - die Schulter, der Rücken, die Taille und die Pobacken. Das ganze sieht in der Frontalität aus wie ein kurzer, mit Fleisch überzogener Knochen. Was Wölzl hier vorgenommen hat, ist Ergebnis seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Meister der körperlichen Deformation: Picasso. Die vielbeachtete Gruppenausstellung "Vorbild Picasso" hat gezeigt,"' daß Wölzl sich unter anderem mit dessen Akrobaten-Serie (1929/30) befaßte und dazu eine Arbeit schuf, die Picassos Deformationsprinzip malerisch ernst nimmt und auf Späteres in Wölzls eigener Arbeit vorausblicken läßt.
Im Gemälde von 1995 ist die spezifische Lektion, die Wölzl von Picasso empfangen hat,109zu erkennen: der Körper wird durch eine extreme Haltung deformiert und darin verfremdet. Der menschliche Körper, allzu vertraut, wirkt befremdend, das Heimlichste unheimlich. Der Verfremdungseffekt wurde von den russischen Formalisten auf dem Gebiet der Literatur erforscht, Viktor Schklowskij prägte dafür den Begriff Ostranenie.110Diese besteht in Wölzls Arbeit darin, daß man den Rücken plötzlich als etwas anderes wahrnimmt und die Assoziationskette in eine andere Richtung geht als dies gewohnheitsmäßig der Fall ist. Zu diesem Bild gibt es auch eine Zeichnung, die dasselbe Thema elliptisch umsetzt (Abb. 43); die rechte Körperhälfte ist nicht mehr zu sehen, die Figur wird zum Körperfragment (ein weiterer Bezug zum Prosafragment). Die Deformation der Körper kommt von Innen, sie ist psychischen Ursprungs, es sind eigentlich extreme Krampfzustände der Muskulatur, wie sie von Katatonikernbekannt sind.
Die Ostranenie ist auch in jenem Gemälde angewendet, in dem man die Rückseite eines stehenden Mannes (oder einer Frau) nur bis zur Taille sieht (Abb. 17). Wieder sind Kopf und Arme so nach vorne gestreckt, daß sie nicht mehr zu sehen sind. Doch ist hier meines Erachtens die Verfremdung eine zweifache: einerseits hat die Körperrückseite den Umriß einer befremdenden Gestalt, andererseits wirkt der Rücken durch die Verfremdung der Haut als etwas Mineralisch-Anorganisches, in teleskopischer Fokusierung sogar Galaktisches. Trotz abstrakter Assoziationen sehen wir hier letztlich einen Körperausschnitt. Er (oder sie) dehnt die Oberfläche seines Körpers, seine Haut, das Tiefste am Menschen, um sich"wiederzufinden."111
Gerhard Finckh schrieb 1992 über die Beziehung zwischen Malerei und Plastik in Wölzls Kunst: "Während seine plastischen Figurationen voll prallen Lebens ihre bronzene Haut beinahe zu sprengen scheinen, verschwinden die figurativen Elemente allmählich aus seiner Malerei. (...) Dieser gegenläufige Prozeß des Verschwindens der Figur aus der Malerei und des Auftauchens in der Plastik kennzeichnet einen Teil seiner Arbeit der letzten Jahre." Vier Jahre später, im Verwaiser-Zyklus, ist eine Wandlung seiner Vorgehensweise festzustellen: Die Figuren tauchen wieder auf und stehen sogar in einem thematischen Dialog, vergleicht man den schwebenden Katatoniker im schwefelgelben Gemälde (Abb. 8) mit seiner plastischen Entsprechung in Bronze (Abb. 23), oder den Fallenden (Abb. 10)mit dem katatonischen "Brückenschlag" (Abb. 25). Dieses Thema wurde auch in ein kleineres Format übersetzt (Abb. 37), sodaß man auch hier von einer Zirkulation des Motivs sprechen kann.
Wölzl zeigt in diesen Arbeiten, daß die Möglichkeiten von Körperdarstellung für die heutige Malerei keineswegs erschöpft sind - wenn die Malerei in ihrer schöpferischen Entwicklung nicht vorzeitig totgesagt wird. 112
Gruppe VII: Körperfragmente
Körperfragmente sind ein großes Thema in Rainer Wölzls Kunst. Er fragmentiert den menschlichen Körper, der nur mehr ein Residuum dessen sein kann, was einmal "Krone der Schöpfung" genannt wurde - ohnehin ein Selbstkompliment im Zeichen der Hybris.
Fleischmassen, Knochen, Schädel und verschwindende Körperteile sind gewiß auch als Abschied vom alten Menschenbild zu sehen. Im elfenbein-schwarzen Gemälde schweben zwei Schädel und amputierte Extremitäten (Abb. 20); es ist das einzige, das ganz in Schwarz gemalt ist, und man sieht, daß Schwarz Wölzls Farbe ist, er beherrscht es souverän.
Roman Hollenstein nannte einmal Robert Ryman den "Meister der weissen Bilder. Für mich ist Rainer Wölzl in der Malerei unserer Zeit der "Meister der schwarzen Bilder".
Ein "Seßhafter" hält sein rechtes Fußgelenk, weil es vom langen Gehen schmerzt, vor ihm ein noch suchender "Körper" in leichtem Schritt (Abb. 6). Die "Wechselwirkung zwischen Thema und Malerei ist so ausgearbeitet und so verschränkt, daß in der Schwebe bleibt, ob die Malerei durch das Thema interpretiert oder das Thema durch die Malerei verbildlicht wird";114die farbliche Spannung zwischen dem schwefelgelben Raum und der dunkelgrauen Haut beider Körper scheint mir der Schnittpunkt dieser intimen "Verschränkung" zu sein.
Der von rechts nach links wachsende Knochen ist genauso ein Fragment (Abb. 14) wie die Beine kreuzenden Körper, die nur bis zur Oberschenkelhöhe sichtbar sind (Abb. 39, 48, 61, 69), und die beiden Körper, die aus dem Bild verschwinden, weil es ihnen gelungen ist, in eine Nische zu schlüpfen (Abb. 29, 41).
Wölzl hat in seiner Textausgabe jene Stelle angestrichen, wo Beckett vom "Fieber des Sehens"115 erzählt. Drei Blätter nehmen diesen Gedanken auf (Abb. 46, 50, 51): Gesichter im linken Profil schauen hinauf - zu den Nischen, zur Decke? Es bleibt ihr Geheimnis.
Ein anderer Körper, den wir von hinten nur bis zum Schulterblatt sehen, steigt mit linkem Bein eine Leiter hinauf, die es gar nicht mehr gibt (Abb. 31). Das Klettern, das Leitersteigen, ist zum Automatismus geworden, die Leiter ist zwar nicht mehr da, jedoch die Vorstellung von ihr, und das genügt noch für eine Weile, solange "die Vorstellung beibehalten wird."
Gruppe VIII: Fleisch/Raum
Das Gemälde zeigt eine geschlechtlich nicht identifizierbare Fleischmasse in einem halbdunklen Raum (Abb. 1), vermutlich vor diesem Zustand:
"In kalter Finsternis regungsloses Fleisch."116
Dieser Satz, den Wölzl wie keinen zweiten in seiner Textausgabe herausgestrichen hat, beschreibt das einzige Ereignis des Bildes: die dialektische Verflechtung von Fleisch und Raum, eines der großen Themen in der Malerei von Francis Bacon, ein Wahlverwandter Wölzls. Tatsächlich steht das Gemälde - trotz seiner Eigenständigkeit in malerischer Manifestation - der Bilderwelt Bacons nahe, noch deutlicher in jener Zeichnung zu erkennen, die das Fleisch als zentrales Ereignis in den Mittelpunkt der "Arena" stellt (Abb. 30). Der Hintergrund ist die vertraute Zylinderwand und zugleich das "Runde" aus Bacons Kosmos.117
Wölzl isoliert das Fleisch aus dem Gesamtkontext, um darauf zu fokusieren, wie unter einem Mikroskop auf der Suche nach Substanz. Die Immanenz des Zylinders läßt nämlich nur wenige Entitäten zu: Gummi (Boden und Wand), Metall (Leitern), Fleisch und Knochen (Körper).
In einer verwandten Zeichnung steht ein Körper vor der Fleischmasse (Abb. 47), dabei sind Kopf und Füße vom "Bildfenster" weggeschnitten, was Wölzl affirmativ einsetzt.
Gruppe IX: Leitern
Kein Wort kommt in Becketts Verwaiser häufiger vor als die "Leiter", insgesamt vierundfünfzigmal, damit zwanzigmal mehr als das Wort "Körper". Das macht die Bedeutung der "etwa fünfzehn" Leitern"' deutlich, sind sie das einzige Mittel in der vergeblichen Suche nach dem "Verwaiser".
Wölzl hat dies erkannt und den Leitern eine eigene Gruppe - ein Gemälde und vier Zeichnungen - gewidmet (Abb. 15, 36, 38, 44, 72). Im Text werden sie mit folgenden Worten eingeführt:
"Leitern. Es sind die einzigen Gegenstände. Sehr verschieden große, doch ausnahmslos einfache. Die kleinsten nicht kürzer als sechs Meter. Mehrere sind ausziehbar. Sie lehnen in wenig harmonischer Weise an der Wand. (...) Der Gebrauch der Leitern wird durch Abmachungen unbekannten Ursprungs geregelt, die in ihrer Bestimmtheit und hinsichtlich des Gehorsams, den sie von den Kletterern verlangen, Gesetzen gleichen.119
Zweck der Leitern ist es, die Sucher zu den Nischen gelangen zu lassen und im Idealfall die Decke zu erreichen, was keinem gelingt - sie kann bei größter Anstrengung bestenfalls mit der "Fingerspitze" berührt werden.
Die Leiter bricht beinahe auseinander, eine Sprosse hat sich schon gelöst (Abb. 15). In der oberen rechten Ecke ist eine Nische zu erkennen, das schwefelgelbe Licht durchtränkt den leeren Raum. Bemerkenswert, daß eine Sprosse die Gestalt eines Knochens aufweist. Die Menschen haben die Leiter erfunden, um aufzusteigen, weil sie sich mit der ebenen Erde nicht begnügen konnten. Tiere brauchen keine Leitern, steigen keine Leitern hinauf und hinunter - es sei denn sie werden für eine Zirkusnummer dressiert, von Menschen. Die Leiter ist eine Erfindung der Menschen, eine zutiefst menschliche Erfindung, die ihre Symbolik hat, gesellschaftlich wie mythologisch.
Wölzl verschmilzt die Sprosse mit dem Knochen, um zu zeigen, daß die Leiter menschlichen Ursprungs ist, ein anthropogenes Instrument der Lebensbewältigung. Der alte Traum vom Aufstieg, die Leiter zum Himmel, die Jakobsleiter.120 Der müde Kletterer steigt die alte Leiter hinauf (Abb. 44) und hinunter (Abb. 36), bis er erschöpft, sich zu Belacqua setzen wird und auf sein Ende wartet. In einer Zeichnung steht die Leiter ganz allein, links an der Wand, Ein leeren, glühend-roten Raum (Abb. 38).
In der anderen Zeichnung wird das Leiter-Thema zu einer waldartigen Formation abstrahiert (Abb. 72); die "Körper" haben die Bühne geräumt, die Leitern bleiben die letzten Protagonisten im Zylinder.
Gruppe X: Auge
Das Auge ist zwar innerhalb des Verwaiser-Zyklus nur das Thema eines Gemäldes (Abb. 7), aber es ist in seiner Singularität so autonom, daß es den Status einer eigenen "Gruppe" beanspruchen kann. Ein einziges Auge tritt aus dem atmosphärischen Farbraum, mit seinem herunterrinnenden gelb-grünen Licht, hervor. Das Gemälde war ursprünglich mit zwei Augen konzipiert, doch während der Arbeit wurde das linke Auge aus kompositio-nellen Gründen weggelassen, deswegen die asymmetrische Lage in der rechten Bildhälfte.
Man kann sich der Unmittelbarkeit und Intensität dieses Werkes kaum entziehen, da das Auge schon auf der primordialen Ebene eine Entsprechung zu unserem eigenen Auge ist, für die Dramaturgie dieses Bildes grundlegend. Zu sehen ist ein Auge und zugleich mehr als nur ein Auge: Wölzl hat es erreicht, mit einem einzigen Auge die Totalität eines menschlichen Gesichtes einzufangen und zu repräsentieren - der Betrachter nimmt das Auge nicht als Gesichtsteil wahr. Die dem Bild inhärente Einsicht lautet: Du bist dort, wo jemand in dein Auge sieht, im Sinne von Berkeleys "Esse est percipi".
In der Gnosis ist das Auge - Motiv in Becketts Text - das symbolische Zentrum am menschlichen Körper, wie es das Herz in der christlichen Tradition ist.
Gruppe XI: Zylinder
Anaximanders Vorstellung von der Erde als "Zylinder" hat Beckett dazu inspiriert, die eingekerkerten "Körper" in einem "niedrigen Zylinder" nach ihrem "Verwaiser" suchen zu lassen. Der Verwaiser ist aus der Perspektive der "Körper" erzählt, und auch Becketts englische übersetzung steht im Zeichen der Insassen: The Lost Ones, die "Verlorenen".
Wölzl hat in fünf Arbeiten den hermetischen Zylinder verlassen, um die Perspektive des "Verwaisers" einzunehmen: in vier Zeichnungen (Abb. 26, 32, 33, 74) und einer Skulptur (Abb. 21) ist der Zylinder von Außen zu sehen.
Die "Körper" und ihre Bewegungen sind in den Zeichnungen als schwarze Punkte dargestellt (Abb. 32, 33), Fliegen gleich, die aus dem "Fliegenglas "121hinaus wollen. In einer Zeichnung werden zwei Inhalte gekreuzt: der Zylinder mit dem Schatten eines Gekreuzigten, wobei der stereometrische Körper dessen Brustkorb bildet (Abb. 74). Wölzl nimmt in der Zylinder-Skulptur eine Inversion des erzählten Zylinders vor: Während im Text die Zylinderinnenseite aus "Hartgummi oder ähnlichem"122 beschaffen ist, wird sie bei der Skulptur nach Außen gestülpt, und die Innenwand ist nicht mehr kahl und glatt, sondern rauh (Abb. 2 1). 123 Wölzl säkularisiert den Zylinder-Mythos, indem er ihn objektiviert, zum Objekt macht.
Es waren vor allem zwei vom Text vorgegebene Bedingungen, die Wölzls Arbeit am Verwaiser-Zyklus vor gewisse Schwierigkeiten stellten: das gelbe Licht, das für einen Maler, der bisher hauptsächlich mit Schwarz gearbeitet hatte,124 eine Barriere darstellen mußte, und das Wegfallen von Schatten, ein weiteres, immer wiederkehrendes Element in Wölzls Malerei.125Im Text heißt es nämlich:
"Licht. Seine Schwäche. Sein Gelb. Sein überallsein, als ginge von jedem der rund zwölf Millionen Quadratzentimeter Gesamtfläche ein eigener Schimmer aus.126
Mit Gelb und ohne Schatten arbeiten zu müssen wurde jedoch im Laufe seiner Arbeit zu einer Herausforderung, die Wölzl künstlerisch umzusetzen wußte.
Rainer Wölzl hat sich mit diesen Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen in die Geschichte der "Einkerkerungskunst" eingeschrieben, die von Piranesis Carceri,127Poes "Grube", Kaflkas Vor dem Gesetz, die Käfige von Giacometti128und Bacon, Bram van Veldes "Zellenbilder", bis hin zu Becketts Verwaiser reicht. Diese Kunst kennt keinen Gott, setzt einen gottlosen Kosmos voraus. Wölzl weiß um die Prämissen dieser Kunst, so hat er Nietzsche, dessen "Gott ist tot" am Anfang der modernen Kunst steht, mit einer Zeichnung seine persönliche Reverenz erwiesen.129
Die absolute Abwesenheit des Absoluten, die Abwesenheit Gottes, war schon das große metaphysisch130 und sollte bei Yeats, Kafka,Wallace Stevens und Beckett Fortsetzung finden.
Es wurde einmal behauptet, "wahre Kunst" setze "die Anwesenheit Gottes" voraus131- der Stachel braucht nur umgekehrt zuwerden, um dem Eigentlichen näher zu kommen: Wahre Kunst setzt die Abwesenheit Gottes voraus.
Rainer Wölzl hat in seinem letzten Zyklus (und seinen Bildern davor) dieser Abwesenheit ihr Recht gegeben - nicht zuletzt deswegen ist seine Kunst eine wahre zu nennen.
Gabriel Ramin Schor, 1996 Wien
(Ausstellungskatalog; Verlag Gerd Hatje, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart, 1996)
Dieser Essay ist Edith Kneifl gewidmet.
1 Samuel Beckett, Der Verwaiser. Le dépeupleur. The Lost Ones. übertragung ins Englische durch den Autor, deutsche übertragung von Elmar Tophoven, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1989, S. 7.
2 Der französische Originaltitel lautet Le dépeupleur, was soviel wie der Entvölkerer heißt. Der Titel wurde durch eine Gedichtzeile von Alphonse de Lamartine angeregt: "Un seul etre vous manque et tout est dépeuplé" (L'Isolement) - "Ein einziges Wesen fehlt einem, und alles ist verwaist." In seiner englischen übersetzung des Textes (1972) verzichtete Beckett ganz auf die Lamartine-Amspielung und gab dem Werk einen völlig neuen Titel: The Lost Ones (Die Verlorenen). Elmar Tophoven entschied sich in seiner deutschen übersetzung (1972) - mit Becketts Zustimmung - für den Titel Der Verwaiser. Teile des Textes erschienen unter den Titeln Dans le cylindre (1967), L'Issue (1968), Séjour (1970) und The North (1972), die Teilfassungen von 1968 und 1972 mit großartigen Graphiken von Avigdor Arikha.
3 Alfred Simon, Beckett. Aus dem Französischen von Michael Bischoff, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1988, S. 289.
4 Der Verwaiser, S. 47 und 85.
5 a. a. O., S. 37.
6 Zu diesem Aspekt verweise ich auf Peter Hughes Aufsatz "Quinconce et cylindre: espace allusif chez Beckett." Peter Fröhlicher, Georges Güntert, Felix Thürlemann (ed.), Espaces du texte - Spazi testuali - Texträume: Recueil d'hommages pour Jacques Geninasca, Éditions de la Baconnière, Neuchatel 1990, S. 241-251. Hughes bezieht das Quincunx-Motiv und den Zylinder auf Sir Thomas Brownes The Garden of Cyrus. Peter Murphy wies aber schon in seiner Standardstudie darauf bin: The nature of allegory in <The Lost Ones>, or the Quincunx Realistically Considered", Journal of Beckett Studies, no. 7, Spring 1982, S. 71_88, besonders S. 79 f. Für eine Analyse des Quincunx-Schemas: Monika Bönisch, Archaische Formen in Samuel Becketts Romanen, Verlag Peter Lang, Frankfurt/New York 1984, S. 38_45.
7 Der Verwaiser, S. 39.
8 a. a. O., S. 73.
9 Es steht wohl außer Frage, daß die Sympathie des Erzählers auf Belacquas Seite ist.
10 Die Suche macht die Dynamik des Geschehens aus, am Ende des Textes tritt der Stillstand ein. Der Vergleich mit der Entropie ist naheliegend und wurde schon hergestellt.
11 Ich beziehe mich auf den schönen Aufsatz von Dominique Iehl, "Die bestimmte Unbestimmtheit bei Kafka und Beckett". Franz Kafka. Themen und Probleme. Herausgegeben von Claude David, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1980, S. 173-188.
12 Rolf Breuer, Die Kunst der Paradoxie. Sinnsuche und Scheitern bei Samuel Beckett, Wilhelm Fink Verlag, München 1976, S. 153. Dieses Standardwerk der deutschsprachigen Beckett-Literatur wurde ihm zum 70. Geburtstag gewidmet.
13 Ludovic Janvier, einer der intimsten Kenner von Becketts Werk in Frankreich, übersetzte schon Watt ins Französische und schrieb mehrere Bücher und Aufsätze über ihn. Seine für die Zeitschrift Critique geschriebene Rezension halte ich für die beste frühe Auseinandersetzung mit dem Prosafragment: "Peupler dépeupler c'est écrire. Samuel Beckett: Le Dépeupleur". Critique, Bd. XXVII/Nr. 288 (27. Mai 1971), S. 432-445.
14 Marianne Kesting, "Zylinder und Schädelraum oder Beckett und die Verhaltensforschung. Zur Interpretation des <Dépeupleur>" Sprache im technischen Zeitalter, 15. März 1980/ Heft Nr. 73, S. 3-14.
15 David Porush, ,Deconstructing the Machine. Beckett's <The Lost Ones>" The Soft Machine. Cybernetic Fiction. Methuen, New York und London 1985, S. 157-171. Für Porush ist Becketts Text ein "Gedankenexperiment" und der Zylinder eine kybernetische Maschine.
16 Peter Brockmeier, "Das <undenkbare Ende> in einer <undenkbaren Vergangenheit>: Zur Darstellung metaphysischer Ansichten in Samuel Becketts Le Dépeupleur. " Poesie der Fehler! Linkreferenz ungültig. & Neumann, Würzburg 1991, S. 265-280.
17 Günter Metken, "Revolutionsarchitektur, Piranesi, Blake. Bilder des Eingeschlossenseins bei Beckett". Manuel Lichtwitz (Hg.), Materialien zu Samuel Becketts <Der Verwaiser>. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, S. 88-106.
18 George Tabori über den Verwaiser: "Für mich hat das Stück viel mit Auschwitz zu tun." ("Die einfachste Stimme, die ich kenne. Gespräch über Beckett"). Jörg W. Gronius/Wend Kässens (Hg.), Tabori, Athenäum, Frankfurt am Main 1989, S. 52.
19 Raymond Federman, Surfiction: Der Weg der Literatur. Hamburger Poetik-Lektionen, Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, S. 151.
20 Sebastian Neumeister, "Das allegorische Erbe. Zur Wiederkehr Dantes bei Beckett" Manuel Lichtwitz (Hg.), Materialien zu Samuel Becketts <Der Verwaiser>, S. 107-128.
21 Susan D. Brienza, "The Lost Ones: The Reader as Searcher", Samuel Beckett's New Worlds. Style in Metafiction, University of Oklahoma Press, Norman and London 1987, S. 139-159.
22 Antoinette Weher-Caflisch, Chaeun son dépeupleur. Sur Samuel Beckett. Les Éditions de Minuit, Paris 1994. Diese Studie hat ausschließlich das Prosafragment zum Thema.
23 Kesting, S. 9.
24 John B. Calhoun, ,Population Density and Social Pathology" Scientific American, February 1962, Volume 206, Number 2, S. 139-148.
25 Der Verwaiser, S. 15.
26 Ich beziehe mich vor allem auf seinen Klassiker L'espace littéraire, Editions Gallimard, Paris 1955.
27 Hartmut Engelhardt (Hg.), Samuel Beckett, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 11 f.
28 a. a. O., S. 19.
29 Samuel Beekett, Die Welt und die Hose. Aus dem Französischen von Erika Tophoven-Schöningh, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 36.
30 Antoinette Weber-Caflisch hat in ihrem Aufsatz "Lumière de Bram van Velde sur Beckett"(Rainer Michael Mason, Bram van Velde 1895-1981. Rétrospective du centenaire, Musée Rath, Genève 1996, S. 277_288) den möglichen Einfluß Bram van Veldes auf Beckett untersucht, weist jedoch nicht auf diesen Aspekt hin.
31 s. Anm. 27, S. 13.
32 s. Amm. 29, S. 9.
33 Samuel Beckett, Gedichte. Aus dem Englischen von Eva Hesse, aus dem Französischen von Elmar Tophoven, Limes Verlag, Wieshaden 1988, S. 89.
34 Samuel Beckett, Werke III/2, Romane: Malone stirbt, Siebenter Band, übertragen von Elmar Tophoven, Erika Tophoven und Erich Franzen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1976, S. 337.
35 Beckett, Werke III/3: Der Namenlose, S. 416.
36 a. a. O., S. 476.
37 Beckett, Werke V. Szenen/Prosa/Verse, S. 167.
38 Beckett, "Falsch angefangen" Kursbuch, Nr. 1, Juni 1965, S. 4 f.
39 Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Capelle, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1968, S. 82.
40 Martin Heidegger, "Der Spruch des Anaximander" (1946), Gesamtausgabe, 1. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1914-1970, Band 5, Holzwege. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1977, S. 327.
41 s. Amm. 39, S. 79 f. Auch die Temperaturschwankungen im Zylinder erinnern an Anaximanders Gegensatz zwischen dem "Warmen" und "Kalten", S. 85.
42 M. Gatzemeier, "Kosmos" Historisches Wörterbuch der Philosophie , Band IV, I-K, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Verlag Schwabe & Co., Basel/Stuttgart 1976, Sp. 1167.
43 a. a. 0., Sp. 1167
44 a. a. 0., Sp. 1170 und Y. Belaval, "Harmonie", s. Anm. 42, Band III, G-H, Sp. 1001
45 Vivian Mercier wies schon 1977 in seinem Buch Beckett/Beckett auf dessen Gnosis-Rezeption hin (Souvenir Press, London 1990, S. 18).
46 Rudolf Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Rowohlt, Hamburg 1962, S. 157.
47 Plotin, Ausgewählte Schriften, übersetzung von Richard Harder, Reclam, Stuttgart 1986, S. 107.
48 Peter Sloterdijk/Thomas H. Macho (Hg.), Weltrevolution der Seele. Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis von der Spätantike bis zur Gegenwart, Artemis & Winkler, Zürich 1993, S. 209 f.
49 a. a. O., S. 213.
50 Kurt Rudolph, Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Vandenhoech & Ruprecht, Göttingen 1994, S.43.
51 Wolfgang Schultz, Dokumente der Gnosis. Mit Essays von Georges Bataille und Henri-Charles Puech, Matthes & Seitz, München 1986, S. 16-56.
52 a. a. O., 31 und 48.
53 Der Verwaiser, S. 23.
54 a. a. O., 23.
55 a. a. O., 27.
56 Schultz, S. 47 f.
57 Der Verwaiser, S. 87.
58 a. a. O., S. 25.
59 Schultz, S. 39.
60 Der Verwaiser, S. 25.
61 a. a. O., S. 59.
62 a. a. O., S. 79 und 89.
63 a. a. O., S. 79 und 81.
64 Samuel Beckett, The North, Enitharmon Press, London 1972; mit drei Graphiken von Avigdor Arikha.
65 Der Verwaiser, S. 89.
66 Janvier, S. 440 und 444.
67 Der Verwaiser, S. 27.
68 Die Gnosis ist eine Erlösungsreligion.
69 Samuel Beckett, Proust. übersetzt von Marlis und Paul Pörtner, überarbeitet von Katharina Raabe und Werner Morlang, Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt am Main 1989, S. 53.
70 a. a. O., S. 83 f.
71 a. a. O., S. 9.
72 Schultz, S. 35.
73 Beispielsweise meinte sogar ein Beckett_Forscher, der Autor sei "mit diesem Spätwerk auf das Niveau von Schulfunksendungen gelangt."
74 Der Verwaiser, S. 73.
75 Beckett, Gedichte, S. 47.
76 Richard Ellmann, Vier Dubliner: Wilde, Yeats, Joyce und Beckett. Aus dem Englischen von Wolfgang Held, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1990, S. 103-133. Ellmann charakterisiert Becketts Kunst: "Während die meisten Künstler auf Bevölkerung des leeren Raums aus sind, besteht Becketts Schöpfungsakt darin, den Raum wieder zu entvölkern" (S. 115). Genau dieser"Schöpfungsakt" steht im Zentrum von Le dèpeupleur.
77 Im Rahmen der Ausstellung "Rainer Wölzl, < ... falls diese Vorstellung beibehalten wird>. Zu Samuel Beckett - Der Verwaiser - Malerei - Zeichnung - Plastik", die vom 16. Juni bis zum 11. August 1996 in der Berliner Galerie tammen & busch zu sehen war.
78 Dokumentiert im Band Beckett in Berlin (zum 80. Geburtstag), hg. von Klaus Völker, Edition Hentrich, Berlin 1986.
79 Samuel Beckett. Fotografiert von John Minihan. Mit einem Essay von Aidan Higgins, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995.
80 Rainer Wölzl, Paul Celan (aus Mohn und Gedächtnis: Todesfuge), Buch mit 17 Radierungen, Edition E. Hilger, Wien 1990.
81 Rainer Wölzl, Lautréamont. Die Gesänge des Maldoror. Mit einem Essay von Peter Gorsen, Picus Verlag, Wien 1992.
82 Rainer Wölzl, Federico García Lorca. Kleiner Wiener Walzer. Mit einem Vorwort von Siegfried Mattl, Harenberg Edition, Dortmund 1994.
83 Vgl. Gabriel Ramin Schor, "L'ultime solitude" Rainer Michael Mason, Bram van Velde 1895-1981. Rétrospective du centenaire, Musée Rath, Genève 1996, S. 289-296.
84 "Hypertextualität. Darunter verstehe ich jede Beziehung zwischen einem Text B (den ich als Hypertext bezeichne) und einem Text A (den ich, wie zu erwarten, als Hypotext bezeichne), wobei Text B Text A auf eine Art und Weise überlagert, die nicht die des Kommentars ist." Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, S. 14 f.
85 In diesem Punkt sehe ich eine gewisse Parallele zur Malerei von Jasper Johns, die ein komplexes System von Echos, Allusionen und Transformationen darstellt.
86 Wölzls Auseinandersetzung mit den alten Meistern wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung; in letzter Zeit stand Matthias Grünewalds Isenheimer Altar im Mittelpunkt seines Interesses - eine weitere Parallele zu Johns.
87 Beckett, Werke I/1, Dramatische Werke. Theaterstücke, S. 135.
88 Der Verwaiser, S. 9.
89 a. a. O., S. 7.
90 Der Dualismus von Hell und Dunkel bzw. Licht und Dunkelheit ist eines der bestimmenden Motive in Becketts Werk, besonders in Das letzte Band. James Knowlson hat darauf hingewiesen: "Separation of light from darkness. It was a Manichaean precept that it was the supreme duty of man to attempt to separate light from darkness in his existence." James Knowlson (ed.), The Theatrical Notebooks of Samuel Beckett. Vol. III: Krapp's Last Tape, Faber and Faber, London 1992, S. 267. Ich danke John Pilling, dem großen Kenner des Werkes von Samuel Beckett, für all seine wertvollen Hinweise, die mich zu dieser Arbeit ermutigten.
91 Der verschwindende Unterkörper kann durchaus im Sinne von Rainer Wölzls Malerei des Verschwindens verstanden werden, deren Inhalt er bereits im Jahre 1983 deklarierte: "Wenn die Liebe das Sich-Verlieren ist, so ist die Malerei das Verschwinden. Alles was ich sehe, mir auffällt, mir zustößt, ist bereits vergangen, so auch die Zukunft, die auf mich zukommt. Vergangenheit - Vergehen - Verschwinden. Was bleibt sind Spuren, ist die Erinnerung, das Auftauchen, die Erscheinung, das Auslöschen der Zeit - zeitlos. (...) Das Licht ist relativ, der Raum absolut; ohne Licht existiert kein Raum - raumlos - der Schatten im Schatten. Die Malerei des Verschwindens erreicht ihre angestrebte Suggestivkraft durch ihre Dunkelheit, ihre Finsternis, die ich manchmal als Freiheit empfinde. (...) Das Verschwinden geht letztlich im Prozeß des Malens selbst auf. (...) Die Malerei des Verschwindens ist ein Versuch, die spezifische Form der Erkenntnis, die die Malerei noch immer darstellt zu thematisieren, mit dem vielleicht sisyphoshaften Bestreben, die Möglichkeiten, die diese Wirklichkeitsaneignung bietet, nicht preiszugeben." Und beendete sein malerisches Manifest mit einer antizipierten subjektiven Assertion (Lacan) im Futurum exaktum: "Ich werde verschwunden worden sein." Daß Schwarz die Farbe seiner Malerei ist, wird schon durch jenes Malewitsch-Zitat deutlich, welches am Anfang seines Programms steht: "Ich habe nichts empfunden, nur die Nacht habe ich empfunden und in ihr habe ich das Neue erblickt. Durch die schwarze Fläche hat es sich in mir ausgedrückt." (Zitiert nach Wölzls unveröffentlichtem Typoskript "über die Malerei des Verschwindens"). Angesichts des verschwundenen Unterkörpers im Gemälde von 1995 könnte man sagen, daß Wölzl zwölf Jahre später seine Malerei des Verschwindens in Schwefelgelb formuliert.
92 Der Verwaiser, S. 7 f.
93 a. a. O., S. 49.
94 a. a. O., S. 75 f.
95 a. a. O., S. 87.
96 Ich beziehe mich hier auf den schönen, Georges Poulet gewidmeten Aufsatz von Jean Starobinski "Racine und die Poetik des Blickes"; Das Leben der Augen. Deutsch von Henriette Beese, Ullstein Verlag, Frankfurt am Main 1984.
97 Gaston Bachelards Klassiker Poetik des Raumes, übersetzt von Kurt Leonhard, Ullstein Verlag, Frankfurt am Main 1975, besonders das Kapitel IX, "Die Dialektik des Draußen und des Drinnen", S. 242-262.
98 Jacqueline Rugo, Einführung anläßlich der Ausstellungseröffnung von "Rainer Wölzl, < ... falls diese Vorstellung beibehalten wird>. Zu Samuel Beckett - Der Verwaiser - Malerei - Zeichnung - Plastik" am 15. Juni 1996 in der Galerie tammen & busch in Berlin. Typoskript, S. 4.
99 Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beyläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte, Berhn 1766 (Erster Teil). Für die Gegenwärtigkeit des Laokoon-Problems in der Moderne spricht allein schon die Wirkung auf Clement Greenbergs Kunstkritik.
100 Der Verwaiser, S. 41.
101 s. Anm. 12, S. 27.
102 Der Verwaiser, S. 17.
103 Deirdre Bair, Samuel Beckett. Aus dem Amerikanischen von Werner Peterich, Kellner, Hamburg 1991, S. 199. James Knowlsons neue, in Zusammenarbeit mit Beckett entstandene Biographie war mir leider noch nicht zugänglich (Damned to Fame. The Life of Samuel Beckett, London 1996).
104 Bair, S. 23 f.
105 "Zu diesem Zweck da kein Stein da war auf den er sich setzen konnte wie Walther und die Beine übereinanderschlagen war es das beste was er tun konnte auf der Stelle stehenzubleiben und stocksteif dazustehen was er nach kurzem Zögern auch tat und natürlich den Kopf wie gedankenverloren sinken zu lassen was er nach abermaligem Zögern ebenfalls tat." Samuel Beckett, Stirrings Still. Immer noch nicht mehr. Soubresauts. Englische Originalfassung, deutsche übertragung von Erika Tophoven-Schöningh, französische übertragung von Samuel Beckett, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1991, S. 23.
106 Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Italienisch und Deutsch. Band II, Zweiter Teil, Purgatorio - Der Läuterungsberg. übersetzt und kommentiert von Hermann Gmelin, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, S. 51 f.
107 Dante, Göttliche Komödie, Band V, Kommentar, Zweiter Teil, Der Läuterungsberg, S. 93.
108 Dieter Ronte (Hg.), Vorbild Picasso: Attersee, Frohner, Hrdlicka, Oberhuber, Wölzl, Zogmayer. Harenberg Edition, Dortmund 1994. Katalog der Ausstellung an der Hochschule für angewandte Kunst Wien, Heiligenkreuzerhof, 11. März bis 23. April 1994.
109 Wie vor ihm Willem de Kooning und Francis Bacon.
110 Schklowskijs Begriff in Zusammenhang mit der modernen Malerei zu sehen, verdanke ich den Aufsätzen von Yve-Alain Bois, besonders seinen Interpretationen zu Robert Ryman und Edward Ruscha.
111 Nach Paul Valéry ist die Haut "das Tiefste am Menschen", demzufolge kann Identität nur ein Ereignis der Oberfläche sein, wie Henri Michaux erkannt hat: "Er dehnt die Oberfläche seines Körpers aus, um sich wiederzufinden." Henri Michaux, Gong bin ich. Lyrik und kurze Prosa, übertragen von Durs Grünbein, Ralf Pannowitsch und Helgard Rost, Reclam Leipzig, Leipzig 1991, S. 177.
112 In den letzten Jahren wurde oft vom "Ende der Malerei" gesprochen. Es ist ein endloses Enden. Wenn das Match "moderne Malerei" auch beendet sein mag, das Spiel "Malerei" ist es nicht. Vgl. Yve-Alain Bois, "Painting: The Task of Mourning" Painting as Model, The MIT Press, Cambridge, Massachusetts 1990, S. 229-244. Bois beruft sich auf Musil, der meinte, daß die zukünftige Malerei, der zukünftige Maler, die zukünftige Malerin nicht von dort her kommen würden, wo man sie erwartet.
113 Roman Hollenstein, "Der Meister der weissen Bilder: Zum Werk des amerikanischen Malers Robert Ryman", Neue Zürcher Zeitung, Nr. 6, 9./10. Januar 1988, S. 67.
114 s. Anm. 98, S. 5.
115 Der Verwaiser, S. 43. Auch im Text "Für Avigdor Arikha" heißt es: "Auge und Hand fiebernd nach dem Nicht-Selbst." s. Anm. 27, S. 25.
116 Der Verwaiser, S. 19.
117 Vgl. Gilles Deleuze, Francis Bacon - Logik der Sensation (2 Bände). Aus dem Französischen von Joseph Vogl. Wilhelm Fink Verlag, München 1995.
118 Der Verwaiser, S. 21.
119 a. a. O., S. 9 und 27.
120 Die Leitern wurden auch mit der Leiter-Metapher in Wittgensteins Tractatus verglichen; s. Lichtwitz, S. 170 f.
121 Man denkt an den berühmten Aphorismus 309 in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen: "Was ist dein Ziel in der Philosophie? - Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen."
122 Der Verwaiser, S » 9.
123 Die Inversion des Zylinders kann man auch als topologische Operation verstehen.
124 s. Anm. 91, "über die Malerei des Verschwindens": "Die Farbe Schwarz ist die Absorption allen Lichts, die Dunkelheit, die absolute Farbenpracht, der Lichtschwamm, die Verweigerung und die Unmöglichkeit alles reflektieren zu wollen, zu können. Schwarz ist undurchsichtig, erscheint körperlich - der Körper ist das Loch, das Fernrohr der Erkenntnis, Schwarz schließt ein, verdeckt, grenzt aus, ist die Einheit aller bestimmten Inhalte, hat die Weite der Unbestimmtheit, der Allbestimmtheit. Schwarz ist eine Farbe, die sich durch ihre innere Dialektik zwischen Indifferenz und Immaterialität einerseits, und andererseits durch ihre Möglichkeit zu koloristischer Differenzierung auszeichnet - ein Schweben zwischen Glanz und Mattheit. (...) Schwarz verweist auf sich selbst und transzendiert sich selbst. Schwarz verkörpert, vergeistigt das prozeßhafte meiner Malerei, die Synthese von figurativer und informeller Malerei. <Das Ideal des Schwarzen ist inhaltlich einer der tiefsten Impulse von Abstraktion (Adorno) >".
125 Beispielsweise das Kunstbuch von Edith Kneifl und Rainer Wölzl: Museum der Schatten. Erzählung - Zeichnungen. Edition Thurnhof, Horn 1993.
126 Der Verwaiser, S. 7.
127 s. Anm. 17. Vgl. auch das Kapitel "Die Phantasie im Kerker. <Carceri d'Invenzione>" in Norbert Millers Buch Archäologie des Traums. Versuch über Giovanni Battista Piranesi, Ullstein Verlag, Frankfurt am Main 1981, S. 193-220.
128 Besonders Giacomettis Holzskulptur "Der Käfig" (1930/31), mit den Ausmaßen 49 x 26,5 x 26,5 cm, die sich in der Sammlung Moderna Museet, Stockholm befindet. Giacometti sagte einmal seinem Freund James Lord bei einer Porträtsitzung: "Wenn ich dich malte, wie ich dich sehe, dann gingest du, von vorn, ins Gefängnis, und im Profil würdest du im Asyl enden." Zitiert nach Simon (s. Anm. 3), S. 93.
129 Die Stiftung Weimarer Klassik veranstaltete 1994, anläßlich des 150. Geburtstages von Friedrich Nietzsche, die Themenausstehung "Für F. N. Nietzsche in der bildenden Kunst der letzten dreißig Jahre", zu der Wölzl mit vier Zeichnungen (öl und Kohle auf Papier, je 79 x 105 cm) beitrug. Vgl. Hansdieter Erbsmehl, Für F. N. Nietzsche in der bildenden Kunst der letzten dreißig Jahre, Stiftung Weimarer Klassik, Weimar 1994, S. 110-111.
130 Hier kann ich nur auf Lucien Goldmanns Studie verweisen: Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung in den >Pensées< Pascals und im Theater Racines, übersetzt von Hermann Baum unter Mitwirkung von Karl-Heinz Klär, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985.
131 Dies ist die anachronistische Grundthese von George Steiners Buch Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt?; mit einem Nachwort von Botho Strauß, aus dem Englischen von Jörg Trobitius, Carl Hanser Verlag, München 1990. In der Einleitung macht Steiner seinen Verhandlungsgegenstand deutlich: "Die These lautet, daß jede logisch stimmige Auffassung dessen, was Sprache ist und wie Sprache funktioniert, daß jede logisch stimmige Erklärung des Vermögens der menschlichen Sprache, Sinn und Gefühl zu vermitteln, letztlich auf der Annahme einer Gegenwart Gottes beruhen muß. (...) Die Annahme lautet, daß >Gott< ist, nicht weil unsere Grammatik sich überlebt hat; sondern daß die Grammatik lebt und Welten erzeugt, weil es dieses Setzen auf Gott gibt." (S. 13 f.) Steiners "These", sein Gottesbeweis, mag wohl stimmen, wenn wir ihn als einen Zeitgenossen Thomas von Aquins (1224-1274) betrachten.